Bonus Ep. – Gespräch mit Jannik Noeske
Shownotes
Unser Host: Dr. Katrin Richter ist stellvertretende Direktorin, Abteilungsleiterin und Fachreferentin an der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar. Sie wirkt bei zahlreichen Bildungsprojekten wie die »Schreibnacht« und die »Weimarer Stummfilm-Retrospektive« im Rahmen des Kunstfest Weimar mit. Zudem beteiligt sie sich in universitären und bibliothekarischen Gremien.
Zusammenfassung: Anlass für diese Bonusfolge ist die Umbenennung des größten Hörsaals der Bauhaus-Universität Weimar in »Maurice-Halbwachs-Auditorium«. Katrin Richter und Jannik Noeske sind an den Vorbereitungen für den Festakt am 4. Dezember 2024 beteiligt und sprechen miteinander darüber, wie Erinnerungsorte an der Bauhaus-Universität Weimar erforscht und in der Lehre vermittelt werden. Im Fokus stehen drei ehemalige NS-Gebäude − Bauhausstraße 11, Belvederer Allee 6 und Marienstraße 13/15 −, die die Universität heute nutzt. Neben der Relevanz kollaborativen, interdisziplinären und unmittelbaren Lernens geht es im Gespräch auch darum, die uns umgebenden Orte wahrzunehmen, zu kontextualisieren und zu vergegenwärtigen. Daraus formt sich eine aktive Erinnerungskultur, die auf eine kritische und verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zielt. Das Gespräch fand am 30. Oktober 2024 in Weimar statt.
Mitwirkende: Host: Katrin Richter Musik: Sebastian Lederle Artwork: Andreas Wolter Ton und Technik: Steven Mehlhorn Sound-Design: Moritz Wehrmann Schnitt: Katrin Richter, Laura Khachab Marketing und Social Media: Claudia Weinreich, Marit Haferkamp Transkript: Laura Khachab Produktion: Nicole Baron Distribution: Jonas Rieger, Ulfried Hermann ** Weiterführende Links: ** https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/profil/portrait/erinnerungsorte/ https://www.uni-weimar.de/de/medien/forschung/die-geschichte-der-bauhausstrasse-11/ https://luciaverlag.de/shop/einzelpublikationen/auf-dem-weg-zum-erinnerungsort/ https://www.db-thueringen.de/receive/dbt_mods_00061333
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Bonus-Ep. Gespräch mit Jannik Noeske
JN = Jannik Noeske
KR = Katrin Richter
KR: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zwischen Magie und Handwerk. Ihr werdet Euch jetzt sicher wundern, dass die Stimme von Simon Frisch heute irgendwie ganz anders klingt. Korrekt, hier ist auch nicht Simon, sondern ich, Katrin Richter.
Wir werden heute über Erinnerungsorte an der Bauhaus-Universität Weimar sprechen, wie diese erforscht und in der Lehre vermittelt werden und was Erinnerungskultur in der heutigen Zeit überhaupt bedeutet.
Und zugleich sei mal die Frage in den Raum gestellt, wenn wir über Erinnerungskultur sprechen, meinen wir dann die, die auf Versöhnung zielt? Oder geht es uns um eine aktive Erinnerungskultur, die die plurale Gesellschaft einschließt? Oder sprechen wir dann doch lieber gleich über Erinnerungspolitik?
Ich habe nun schon mehrfach das Wort „wir“ angekündigt und so will ich endlich auch Jannik Noeske, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Raumplanung und Raumforschung der Fakultät Architektur und Urbanistik begrüßen. Herzlich willkommen, Jannik. Ich freue mich, dass Du hier bist.
JN: Ja, hallo Katrin, danke für die Einladung.
KR: Jannik, ich habe überlegt, wir kennen uns schon relativ lange, und zwar 2016, da warst Du damals noch Student und da sind wir uns das erste Mal auch begegnet. Es war, um das nochmal vielleicht so ein bisschen zu umreißen, auch eine Zeit, in der aufgrund der Geflüchtetenkrise 2015 und fortfolgend ein sehr hohes studentisches Engagement zu sehen war. Studierende haben zum Beispiel ehrenamtlich Deutschkurse durchgeführt oder haben auch geflüchtete Personen betreut und teilweise sogar ein Urlaubssemester genommen. Also, es war wirklich ziemlich stark, und viele von uns waren letztlich auch sensibilisiert, was Studenten an der Stelle im Ehrenamt alles leisten, das war ganz deutlich.
Und wir haben dann irgendwann auch die Schreibnacht gemacht, wo wir eben solche Initiativen auch mit einbinden wollten. Die hieß damals noch die Lange Nacht des wissenschaftlichen Schreibens. Und ein paar Tage vor diesem Schreibevent bekam ich eine Nachricht von der Raumstation und die war von Dir. Kannst Du Dich erinnern?
JN: Ja, ich kann mich dunkel erinnern. Wir hatten eine Rauminstallation gebaut, schon, und wollten die auf dem Platz der Demokratie aufstellen, um über das Thema Demokratie und öffentlicher Raum zu sprechen. Und dann hat es aber in einem durchgeregnet und wir haben uns dann dafür entschieden, nein, das können wir nicht machen, wir können nicht drei Tage lang im Regen sitzen und haben dann nach Ausweichstandorten gesucht. Und dann kamen wir eigentlich ziemlich schnell auf das Foyer der Universitätsbibliothek. Und ja, das hat irgendwie sehr gut gepasst auch. Hat sich ja auch in gewisser Weise verstetigt. Der Raum ist jetzt viel lebendiger, als er damals noch war.
KR: Genau, also ich kann ja vielleicht noch kurz erwähnen, ich arbeite in der Bibliothek und deswegen sind wir da auch bekannt geworden miteinander. Und auffällig ist für mich auch jetzt, als ich das nochmal so ein bisschen überlegt und recherchiert habe, dass das damalige Mobiliar sehr dem jetzigen Co-Working Space entspricht, also schon so diese Anmutung von einfachen Holzstühlen und Holztischen hat. Und an diesen Raum, den Ihr da geschaffen habt, 2016, wurden praktisch auch die Workshop-Texte rangepinnt, sodass alle 400 Teilnehmenden die auch lesen konnten. Also, eine ziemlich coole Aktion.
Ich habe auch noch mal in die Programmatik dieses Ankündigungstextes geschaut und den hast Du mir so zwei Tage vor der Veranstaltung geschickt und der lautete wie folgt, ich zitiere: „Wir wollen nicht darauf warten, dass sich die Stadt von allein verändert. Wir wollen es selbst machen.“ Und weiter geht es dann auch noch so: „Mit experimentellen und punktuellen Interventionen und Aktionen im öffentlichen Raum soll das Bewusstsein der Stadtbewohnenden für ihren eigenen Ort gestärkt werden. Bei der Umsetzung werden gezielt Akteure vor Ort aktiviert und einbezogen.“ − Also, mit dieser Programmatik, die sich dann für Dich ja auch ganz schön durchzieht, hast Du auch so einen Punkt schon gesetzt, oder?
JN: Ja, also die Initiative Raumstation, die hat sich weiterentwickelt, dann auch relativ bald ohne mich, sehr erfolgreich und sehr nachhaltig und setzt sich weiterhin eben genau mit diesen Themen auseinander. Ich bin erstmal zurück zur Geschichte gegangen. Also, das war dann eigentlich der Aufhänger auch für meine wissenschaftliche Karriere, dass ich angefangen habe, mich mit dem Thema Planungsgeschichte, Städtebaugeschichte zu beschäftigen und darüber aber zum Beispiel auch immer wieder auf das Thema Gauforum in Weimar, ehemaliges Gauforum in Weimar, andere, ja, sogenannte belastete NS-Orte hier in der Stadt und in der Umgebung, die damals in der Zeit Ende der 2010er Jahre ja auch kontrovers diskutiert waren. Wir haben über die Errichtung des Bauhaus-Museums damals viel gesprochen, über die Zukunft dieses Stadtplatzes, der heute ja sehr belebt ist oder sehr viel mehr belebt, als er damals noch war. Das vergessen wir auch manchmal, wie erfolgreich tatsächlich auch diese architektonisch städtebauliche Intervention an der Stelle war, der aber natürlich auch ein mehrfach konnotierter Geschichtsort ist und als solcher Teil der Weimarer Stadtentwicklung. Also, so sind dann eigentlich meine, haben sich dann meine Schwerpunkte so ein bisschen verschoben. Aber genau dieses Thema Teilhabe, gesellschaftliche Fragen im öffentlichen Raum hat sich so ein bisschen durchgezogen.
KR: Ja, und das sind ja auch gerade mit Raumstation.org., also wer das mag, kann da mal schauen. Es gibt nach wie vor diese Initiative, die eben auch in Berlin und Wien und in Weimar verortet ist, geht es auch immer darum, Orte genau zu untersuchen und das eben auch in Gruppe und kollaborativ.
JN: Und im Ehrenamt, nebenbei.
KR: Und im Ehrenamt ist auch ein wichtiger Punkt, auf den wir dann immer noch mal wieder kommen werden, weil viele Studierende wirklich ehrenamtlich unterwegs sind und da eben auch eine große, ja, eine große Sache leisten für viele Menschen, genau. Die zweite Begegnung war zum internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2020. Also wir sind kurz vor dem ersten Lockdown, die Corona-Pandemie greift dann um sich und das war ein Treffen in der Bauhausstraße 11 und hieß auch Forum, Forum auf dem Weg zum Erinnerungsort. Also, die Fakultät Medien selber ist ja 1996 gegründet und war da schon zwei Dekaden in diesem Gebäude.
Ich selber habe Medienkultur hier in Weimar studiert und bin praktisch vier Jahre auch durch dieses Gebäude gegangen, war im Gebäude unterwegs und habe zum Beispiel auch die Glasfassade gesehen, aber doch nicht wirklich wahrgenommen. Maurice Halbwachs hätte an dieser Stelle vielleicht gesagt: „Es gibt keine Erinnerung ohne Wahrnehmung“. Also dieses Forum stieß auf ein großes Interesse, erinnere ich mich sehr gut. Was hat es mit diesem Gebäude auf sich?
JN: Ja, die Bauhausstraße 11, das hast Du schon sehr gut beobachtet, ist tatsächlich viele Jahre lang genutzt worden, ohne dass man sich mal vertieft die Frage gestellt hätte, was hat es eigentlich mit diesem Gebäude auf sich, außer Architekturhistoriker*innen, die schon auch sehr früh angefangen haben, schon seit den 1990er Jahren tatsächlich dieses Gebäude auch zu thematisieren. Die ehemalige Kurthstraße 11, so hieß die Straße damals, ist 1935 bis 1937 errichtet worden als Hauptsitz der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschland mit ihrer Thüringer Regionalstelle. Also, das heißt, an diesem Ort wurden im Auftrag der Kassenärzte, also der Ärzte, die tatsächlich eben einen Sitz haben, und den Krankenkassen die Verträge verhandelt. Also das ist so ein bisschen die Funktion, die die Kassenärztliche Vereinigung bis heute ja noch innehat. Aber ganz viele andere Institutionen saßen dann auch in diesem ja doch sehr repräsentativen Neubau, weshalb wir sagen, dieses Gebäude war eigentlich in den 30er und 40er Jahren eine Schaltzentrale von Medizin und Macht. Da wurde nationalsozialistische Gesundheitspolitik gemacht, auch insbesondere, weil viele Institutionen der Partei, der NSDAP, ansässig waren, die eben Gesundheitspolitik auch gegen die kommunale Verwaltung gemacht hat. Also eine neue nationalsozialistisch, rassistisch und hegemonial ausgerichtete Gesundheitspolitik. Und als solches eben ein Täterort, der als solcher auch thematisiert werden sollte.
KR: Es entstanden auch im Zuge der Kontextualisierung auch erstmal des Wahrnehmens, wie gesagt, von einzelnen Elementen, die sich im Gebäude befinden, ja, verschiedene Fragen auch, die zum Beispiel auf das Raumprogramm, auf die Zugänglichkeit, auf die Figuren an der Glasfassade auch hinweisen. Mittlerweile wurde das Gebäude auch sehr aufwendig restauriert und saniert und wird jetzt gerade auch wieder in Betrieb genommen. Und es wäre doch auch möglich gewesen, dass diese teilweise völkische Ikonographie verschwindet, also, dass man die überpinselt, um es mal so drastisch zu sagen. Wie wichtig war und ist es, dass genau diese Insignien kontextualisiert sichtbar bleiben? Also: Ist es jetzt ein Ort mit einem andauernden Störton geworden?
JN: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Das berührt natürlich prinzipielle denkmalpflegerische Debatten, die sehr kontrovers geführt werden. Wir stecken sehr viel Geld in die ja fast liebevolle Restaurierung von diesen Gebäuden. Also, das wird ja wirklich mit der Nagelfeile gemacht, so dass man manchen Gebäuden auch fast vorwerfen kann, dass sie jetzt schöner sind als eh und je. Da sind wir auch im Rahmen unserer, ja, auch dann über mehrere Jahre andauernden Arbeit in der Bauhausstraße 11 immer mal wieder auch in Diskussion gekommen, weil es da auch natürlich unterschiedliche Positionen gibt, wenn es zum Beispiel um die Wiederherstellung von mittlerweile verlorenen Bauausstattungsmerkmalen geht.
Und ja, ich bin der Meinung, dass man da genau unterscheiden muss, was ist Originalsubstanz, die natürlich erhalten werden muss, und was ist aber auch in Ordnung, wenn es eben nicht so schön aussieht, wenn es vielleicht ein bisschen angelaufen ist oder vielleicht da die eine oder andere Stelle auch ein bisschen angekratzt ist. Aber trotzdem ist natürlich jede historische Substanz als Zeugnis der Vergangenheit extrem wichtig, weil sie uns eben die Möglichkeit gibt, dass wir Geschichte erzählen und das vermitteln können, also eben anhand von dieser Substanz.
KR: Ich will gerne noch mal auf diesen andauernden Störton zurückkommen, weil in verschiedenen erinnerungspolitischen Debatten gerade ja auch diese Entwicklung oder diese Veränderung von der Schuld und einer Opferzentrierung hin eben zu einer Erinnerungspolitik des Vergegenwärtigens und eben des kritischen Bezugs sich auch entwickelt. Wie schätzt Du das ein? Also es ist ja auch aus einer studentischen Initiative entstanden und jetzt ist eben diese Kontextualisierung des Gebäudes auch ein wissenschaftlicher Diskurs, der dazu entstanden ist, bis dahin, dass letztlich auch zum Beispiel Führungen stattfinden.
JN: Ja, also um noch mal auf dieses Thema Störton zurückzukommen. Also an dem Gebäude selbst stört sich ja keiner, das hast Du ja selbst auch gesagt. Man läuft da auch einfach so ein bisschen daran vorbei. Und wir haben da jetzt Informationstafeln, da kann man sich schlau machen, aber um ehrlich zu sein: auch die gehen im Alltag natürlich dann unter. Und das ist ja auch insofern erstmal in Ordnung, weil das ein funktionales Gebäude ist. Das hat eben verschiedene Funktionen in der Universität und muss als solches natürlich auch funktionieren. Und da würde ein Störton, wie bei einem Podcast ja auch, dann tatsächlich das auch ein bisschen beeinträchtigen. Deswegen ist dieses Stören ein Herausreißen aus dem Alltag in dem Fall und als solches sehr wertvoll. Wir haben dann, da war ich dann auch schon Beschäftigter an der Uni, wir haben dann ein Bauhaus-Modul gemacht und dieses Bauhaus-Modul mit Studierenden von mehreren Fakultäten war sehr erfolgreich. Wir haben eben noch mal Grundlagenforschung zu dem Gebäude betrieben. Wir haben auch zum Beispiel einen Archiv-Workshop gehabt in dem Rahmen und das endete eben mit einer Intervention am Gebäude. Und wir haben mit Bauplanen diese Fenster verhüllt, also für einen Tag oder ein Wochenende, ich glaube im Rahmen der Winterwerkschau Go for Spring war das damals, haben wir eben gesagt, ja, wir verhüllen das, sodass es noch so ein bisschen durchscheint, aber man muss eben so explizit dahintergucken, was ist eigentlich da?
Also, um ebenso diese Aufmerksamkeit für diese Fenster noch mal zu generieren, weil sie sonst eben immer so ein bisschen vorbeirauschen. Und daran haben sich immer auch einige gestört an dieser Intervention, dass manche haben gefragt, hat die Sanierung schon angefangen? Bis hin eben zu ja, wir verdecken hier die Geschichte und wir machen eben was unkenntlich, was eigentlich sichtbar sein sollte. Also, da waren die Meinungen schon kontrovers, aber ich bin immer noch überzeugt von der Aktion, die sich die Studierenden ausgedacht hatten.
KR: Diese Sensibilisierung, also wenn man sich ein Gebäude genau auch historisch anschaut, dadurch auch verschiedene Aspekte generiert, ist es für Dich dann in der Folge so gewesen, dass Du in jedem Gebäude, in dem Du irgendwie unterwegs bist, das vielleicht neu für Dich ist, dass Du ganz gezielt nach Symboliken schaust, nach Geschichte schaust? Also mir geht es immer so, wenn ich an einem Deeskalierungs-Seminar zum Beispiel teilgenommen habe, dann gucke ich Tage später, wo könnte eine mögliche Person sein. Also ist es so eine Sensibilisierung auch im Umgang mit Architektur?
JN: Ja, natürlich. Ich bin immer nicht so stark am einzelnen Objekt, am einzelnen Gebäude, sondern ich frage immer auch nach den städtebaulichen Räumen, die entstehen, dem räumlichen Regime, was eben über diese Architekturen auch ausgedrückt wird. Man entwickelt natürlich über die Jahre einen ganz guten Blick für Baujahre, Entstehungszeiten, sodass so Gebäude dann eigentlich immer auch auffallen. Aber ich frag mich dann auch, was ist eigentlich mit allem, was zum Beispiel eben nicht mehr da ist.
Also, welche Spuren hat das eigentlich hinterlassen? Wir vergessen ja auch häufig, wie pompös zum Beispiel die Bauhausstraße elfmal ausgestattet war. Also, da ist man in dieses Foyer reingekommen und dann war da eine Hitlerbüste und so Feuerschalen und so Mosaikdarstellungen. Also, das heißt, das war wirklich ein szenischer Raum, wie das eben meine Kollegin Lilly Hallmann immer beschrieben hat. Da ging es darum, dass man einen Übergangsritus eigentlich hat, um in dieses nationalsozialistisch getrimmte Gebäude zu kommen. Also, das heißt, diese Spuren sind eben weg und die sind nur noch in Rudimenten erkennbar vielleicht. Und auch das ist eben eine Herausforderung, die wir eben haben. Und danach suche ich dann auch immer oder gucke ich dann ganz gerne.
KR: Und vielleicht auch zu dem Punkt Vermittlung. Also Du guckst da ganz gerne, Du guckst ja da nicht alleine, sondern Ihr seid ja auch da wiederum im Team und schaut gemeinsam und habt ganz verschiedene Aspekte. Also, kommen wir vielleicht mal auf Dein Seminar im letzten Semester auch zurück, weil das fand ich auch hochspannend: „Memory to Mind, nationalsozialistisches Erbe und Erinnerung in Weimar“, das war auch ein Bauhaus-Modul. Also was habt Ihr da gemacht und was ist überhaupt ein Bauhaus-Modul?
JN: Ja, also vielleicht der Übergang nochmal zur Bauhausstraße 11. Auch da haben wir eben, das hatte ich schon kurz angedeutet, da hatten wir eben zwei oder drei Lehrveranstaltungen auch angeboten, zusammen mit Kolleginnen der Fakultät Medien, Julia Bee und Franziska Klemmstein, die uns die Möglichkeit gegeben haben, eben dieses Gebäude außerhalb des, sage ich mal, regulären medien- oder architekturwissenschaftlichen Curriculums auch zu betrachten.
Bauhaus-Module, das war damals noch relativ neu, das ist zum Bauhausjubiläum 2019 entstanden. Das sind Lehr- und Lernformate, die es eben sowohl Lehrenden als auch Studierenden ermöglichen, experimentellere, vielleicht auch ein bisschen exzentrische Lehrformate auszuprobieren, aber eben auch, und das ist eben das Wichtige, interdisziplinär zu unterrichten, über die Disziplingrenzen hinweg und sogar über die Hochschulgrenzen hinweg. Und deswegen denke ich, ein sehr schönes Format, es hat mir sehr viel gebracht. Ich habe dadurch sehr viel gelernt für meine Lehre und ich denke, dass es für viele Studierende, die eben diese Kurse besucht haben, auch eine extreme Bereicherung war.
Letztes Semester hatte ich eben überlegt, das war auch im Kontext von dem Programm „Demokratie stärken“, dann hatte ich überlegt, eigentlich ist es doch mit Studierenden immer am schönsten, gerade im Sommersemester, wenn man draußen ist, wenn man unterwegs ist. Deswegen habe ich überlegt, ich mache ein Exkursionsseminar und habe eben, das ging eben als Bauhaus-Modul ganz gut, und habe eben gesagt, ja, das ist offen für alle, die ein Interesse am Gegenstand haben und eben Lust haben zu zusammen, mit mir oder mit der Gruppe durch Thüringen zu reisen und verschiedene Erinnerungsorte an den Nationalsozialismus zu besuchen, Akteure kennenzulernen, diese Orte beschreiben zu lernen und auch zu sehen, wie schwierig es teilweise ist, diese Orte auch zu erreichen.
KR: Ist das eine neue Form von Experiment?
JN: Naja, ich meine die Exkursion oder dieses im Feld sein, das gehört natürlich zu den ältesten wissenschaftlichen Methoden. Das ist schon die Grand Tour im 18. Jahrhundert war das ja irgendwie auch schon. Geht dann natürlich weiter über die ethnographischen Methoden und gerade für uns Urbanist*innen ist natürlich diese Exkursion und die Analyse und die Beobachtung ein ganz wichtiger Gegenstand. Aber was natürlich ein Experiment ist, ist eben diese Gruppe, die sich kaum kennt, irgendwo geschlossen hinbringen und da eben vor so einer Person sitzen und mal schauen, was dann passiert. Also, eben mit den Leuten vor Ort ins Gespräch kommen, da macht man sich immer auch ein bisschen angreifbar, beziehungsweise da kann irgendwie alles mögliche passieren, aber gleichzeitig lernt sich die Gruppe auch sehr gut kennen, weil man eben nicht wie beim Seminar dahin kommt, anfängt und dann wieder geht, sondern man hat eben diese Busfahrt dahin oder Zugfahrt und Wartezeiten und man lernt sich dadurch dann nebenbei im Gespräch eigentlich ganz gut kennen. Das ist eben nochmal so eine zusätzliche Ebene, die, wie ich jetzt gemerkt habe, extrem wertvoll für die Lernerfahrung auch ist. Weil eben dieser nebenbei Austausch auch vielleicht in ein bisschen intimeren Atmosphäre häufig produktiver ist, als wenn ich jetzt eine Feedbackrunde mache und die Leute einzeln aufrufe.
KR: Wie viele Leute haben sich da beteiligt und wo kamen die her?
JN: Ja, ich hatte glaube ich so anfangs 22 Anmeldungen, den Kurs dann letztendlich abgeschlossen haben 15. Das ist normal. Manche sind manchmal dazugekommen, manche wollten dann keine Prüfungsleistung machen oder so. Das ist auch in Ordnung, so war es auch ein bisschen konzipiert. Ich habe den Kurs, ich habe das aus einer Laune herausgemacht, aber ich habe alle Unterlagen zweisprachig eingereicht und gedacht, wir kriegen das schon irgendwie hin, wenn da eben internationale Studierende sind. Und da es an der Bauhaus-Uni leider doch relativ wenig gerade auch Angebote gibt für Erasmus-Studierende zum Beispiel die nur in Englisch unterrichtet werden, war das dann doch auch relativ beliebt und es waren eben, ja, so ein gutes Drittel internationale Studierende, weshalb wir das dann auch zweisprachig unterrichtet haben. Und sonst alle Fakultäten vertreten, das ist immer so ein bisschen der Ritterschlag für so ein Bauhaus-Modul und eine sehr lebendige Gruppe. Sehr gemischt, aber mit einer ganz tollen Solidarität untereinander und einer richtig, richtig tollen Diskussionskultur.
KR: Also, alle Fakultäten vertreten, heißt für uns also die Fakultät Architektur und Urbanistik, dann die Fakultät Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, dann Kunst und Gestaltung ist die dritte Fakultät und die vierte Fakultät ist die Fakultät Medien. Und damit kommen letztlich ja auch planerische, medientheoretische, bauingenieurwissenschaftliche Studierende zusammen. Und wie lief das ab mit der Verständigung? Also, Du hattest ja gesagt, es waren auch Erasmus-Studierende dabei. Ihr wart ja dann vor Ort in Thüringen, vielleicht da auch ein Beispiel, also in welchem Ort wart Ihr und was musstet Ihr da machen oder was haben die Studierenden da gesehen?
JN: Also, ich glaube, uns allen am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist ein Besuch im NS-Dokumentationszentrum Arnstadt und einer anschließenden Wanderung durch das Jonastal. Das Jonastal war gegen Ende des Krieges eine riesige Baustelle. Da wurden eben, ja, unter wirklich furchtbarer Anwendung von Zwangsarbeit riesige Stollenanlagen in den Berg getrieben, ohne dass man jetzt historisch genau wüsste, wofür diese Stollenanlagen eigentlich genau waren. Das heißt, es ranken sich da viele Mythen auch drum. Es gibt eine sehr lebendige Szene an Leuten, die eben in diese Stollen reinklettern. Und es gibt aber eben in Arnstadt auch einen Verein, die sich dessen so ein bisschen angenommen haben. Und da waren wir eben mit einem dieser Experten dieses Vereins, waren wir eben erst in diesem Dokumentationszentrum und dann noch vor Ort.
Das sah dann so aus, dass eben, er hat erzählt, er meinte schon, ja, der Vortrag dauert 90 Minuten, wo ich dann auch erst mal schlucken musste, weil er natürlich auch auf Deutsch erzählt hat. Das heißt, ich saß in der letzten Reihe und habe Flüsterübersetzungen auf Englisch gemacht, für diejenigen, die eben nichts verstanden haben. Und das war dann schwierig, weil ich irgendwann ganz viele so, ja, auch Verschwörungstheorien übersetzen musste, die eher sich nicht zu eigen gemacht hat, aber die er gesagt hat, es existieren folgende Verschwörungstheorien, wo ich dann auch, oder Verschwörungsmythen, wo ich dann auch so ein bisschen an meine Grenzen gestoßen bin, soll ich das jetzt übersetzen, ist das jetzt überhaupt sinnvoll? Und gleichzeitig war ich eben aber auch so im Hintergrund und das heißt eigentlich ein sehr direkter Austausch mit dem Experten und den Studierenden. Also, ich hatte nicht so die Möglichkeit, da moderierend einzugreifen, aber habe dann gemerkt, ja, das muss dann auch mal sein und habe dann auch gesagt, ja, die Zeit wird langsam knapp, wir müssen jetzt mal los, weil: wir wollten ja noch die anderen Orte besichtigen. Aber so changierte das immer so ein bisschen zwischen einer übersetzenden Rolle, aber eben auch einer moderierenden. Ich bin aber unglaublich dankbar für die Gruppe, dass es eben nicht immer notwendig war, das so stark anzuleiten. Also es hat eine sehr schöne Eigendynamik. Manchmal haben auch andere Studierende so ein bisschen übersetzt und die Diskussionskultur ist eben auch ohne mein Anleiten sehr lebendig gewesen. Und ja, das war eine sehr schöne Erfahrung, aber muss ich eben, wie gesagt, auch zum allergrößten Anteil der Gruppe zurückgeben.
KR: Ja, es ist immer, glaube ich, ein Nehmen und Geben. Also, die Idee ist da und dann wird es halt auch eine Bereicherung, wenn viele sich einbringen können. Neben dem miteinander ins Gespräch kommen, gab es ja auch für die Studierenden von vornherein die klare Ansage, dass sie eben mit einer „eigenen Aktivität und mit Neugierde“, so war es im Ankündigungstext auch formuliert, an dem Seminar teilnehmen können und letztlich dieses Seminar auch dokumentarisch begleiten. Das waren ja dann auch Dinge, die Ihr zur summaery ausgestellt habt. Was kam da zum Vorschein?
JN: Ja, also dieser Ankündigungstext ist daher, dass man bei Bison immer so eintragen muss, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Und da muss man dann irgendwie eintragen, dass man das dritte Modul Stadttechnik, Energie oder so besucht haben muss. Aber das war in meinem Fall eben nicht gegeben, deswegen musste ich mir was anderes überlegen. Deswegen habe ich eingetragen, ja, „persönliche Neugier und Interesse“ oder so. Und weil das tatsächlich eben auch wichtig ist, weil das eben gerade durch diese Exkursionen auch einfach zusätzliche Zeit erfordert. Ich habe versucht, das ganz gut irgendwie so zu managen, aber es ist einfach Zeit, die auch dafür draufgeht.
Das muss man eben auch aufbringen können. Und genau, Prüfungskulturen sind sehr unterschiedlich in den Fakultäten und ich muss trotzdem mir eben eine Prüfungsleistung überlegen oder zwei, je nachdem, ob man drei oder sechs Credits macht und habe so ein bisschen Problem mit so nachträglich dann noch eine Hausarbeit am Ende des Semesters nachschieben und vielleicht unterwegs mal ein Referat halten. Und hab mir gedacht, nee, ist eigentlich viel schöner, wenn man kontinuierlich mitdenkt und Wissen produziert für sich selbst und nicht am Ende irgendwie dann zwei Wochen schwitzend in der Bibliothek sitzt, wenn man eigentlich viel lieber Urlaub machen würde. Und habe deswegen gesagt: „Nein, wir machen Research Diaries, Field Recordings.“ Also, irgendwie ein begleitendes, dokumentierendes Arbeiten an den Orten. Und wie Ihr das macht, da seid Ihr freigestellt. Ob das Fotografien sind, Zeichnungen, Graphic Recordings, schriftliche Notizen bis hin eben zu Video, Ton... Das war eben freigestellt.
Und genau, die summaery, das waren dann Ausschnitte aus diesen Forschungstagebüchern, die wir gezeigt haben, in so einem kleinen Archiv, sage ich mal, in so einer Kartei, die eben, ja, die für mich oder für uns die Möglichkeit waren, eben die Vielfalt davon auch zu zeigen, weil, und das ist eben der wichtige Punkt, niemand betritt diese Orte mit den gleichen Augen. Alle haben eben einen unterschiedlichen Zugang dazu. Und das wird eben da so schön deutlich, dass eben gerade auf dieser Wahrnehmungsebene, über die Du gesprochen hast, ganz unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen, weshalb wir den Kurs auch mit Wahrnehmungsübungen auch angefangen haben tatsächlich. Jetzt fällt es mir auch wieder ein, das war ja eigentlich die allererste Übung: Begebt Euch zu einem Ort in Weimar, von dem Ihr wisst, dass er eben eine NS-Vergangenheit hat oder einen NS-Erinnerungsort ist und beschreibt, was hört Ihr, wen seht Ihr, was seht Ihr eigentlich genau, beschreibt das mal ganz genau. Also, dass man nochmal auch zurückgeht auf dieses, ja, an einem Ort sein und den eigentlich erstmal beschreiben lernen.
KR: Und gab es da praktisch einen Ort, zu dem alle hingezogen sind gemeinsam oder gab es eine Vereinzelung, also dass man gesagt hat, nein, wir wollen wirklich auch möglichst viel Material sammeln und wir verteilen uns. Was war die Strategie?
JN: Das war frei zu wählen erstmal, weil mich das auch genau das natürlich interessiert hat: Wo gehen die Leute hin? Das gab so ein bisschen so Cluster, würde ich sagen. Es gab zwei, drei Arbeiten zum sogenannten Ghettohaus am Brühl, es gab zwei, drei Arbeiten zum Marstall in Weimar, unter anderem meine eigene, weil ich das immer noch einen sehr faszinierenden Ort finde, mit der künstlerischen Arbeit von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die ich für sehr gelungen halte, zum ehemaligen Gauforum natürlich. Aber auch zum Beispiel zu einer Todesmarsch-Stele auf dem Lidl-Parkplatz, die ich tatsächlich auch nicht auf dem Schirm hatte. So war das ein bisschen gestreut auch, ja, sehr in der Innenstadt gelegen, auch auf den alltäglichen Wegen, aber ich denke für viele auch überraschend, weil man doch auch vieles einfach nicht kennt.
KR: Und gab es zu summaery dann Resonanz von anderen Leuten, die gesagt haben, „Wäre ich da auch mal dabei gewesen!“ oder „Wie könnt Ihr nur?“ oder was gab es da für Reaktionen?
JN: Ja, man kriegt das natürlich immer nicht so mit. Das Einzige, was einem dann immer gesagt wird, ist, dass es eben sehr schön und sehr gelungen ist. Deswegen kann ich das gar nicht so ganz genau sagen. Es ist mir auch gar nicht so wichtig. Mir ist wichtiger die Diskussion, die wir in der Gruppe, in der Vorbereitung hatten, wie wollen wir eigentlich mit dem Material umgehen. Und wir hatten eben noch mal die Möglichkeit bei der summaery, da standen wir so ein bisschen im Kreis hinter dem Hauptgebäude, das war nochmal so ein bisschen die letzte Möglichkeit für nochmal eine Abschlussrunde, die ich als sehr wertvoll empfunden habe. Also, durch dieses viele Herumreisen ist das tatsächlich ein bisschen kurz gekommen. Also, dieses Zusammenkommen, nochmal sich sammeln, sich ein bisschen Zeit nehmen, um über die Eindrücke zu sprechen, aber auch über inhaltliche Themen zu diskutieren. Und da war dann die summaery eigentlich nochmal der Anlass und wir hatten dann eben auch nochmal die Möglichkeit auch gemeinsam anzustoßen, also auch auf diese Erfahrung. Das fand ich auch sehr schön.
KR: Du hattest es anklingen lassen, lief im Rahmen von „Demokratie stärken,“ also für all die, die jetzt nicht der Bauhaus-Universität angehören und das ja seit einem Jahr auch miterleben oder mitgestalten können: „Demokratie stärken“ ist das Jahresmotto der Bauhaus-Universität, wo wir uns eben auch ganz verschiedene Punkte auch suchen. Läuft auch im Kontext der Initiative „Weltoffenes Thüringen“ in Thüringen natürlich und darüber hinaus. Also viele Institutionen haben sich da mittlerweile beteiligt, viele Einzelpersonen und das ist eben wirklich auch nochmal mit dem ganz klaren Label: Wir wollen Demokratie und Demokratie ist wichtig.
Du hast Dich dann neben der Lehre auch noch an verschiedenen anderen Dingen beteiligt. Zum Beispiel gab es in der Bibliothek eine Literatursammlung zum Thema Erinnern gestalten oder aber auch in der Schreibnacht vor zwei Jahren gab es mal eine Gesprächsrunde, die hieß „Ordnungen des Wissens“, wo eben über Literatur, über Aufstellung von Literatur in Bibliotheken, zu Bibliotheksbeständen, sei es jetzt queerfeministisch, postkolonial oder zu NS-Themen, sich ausgetauscht wurde.
Wie wichtig sind Dir solche Runden?
JN: Ja, also „Demokratie stärken“ ist für mich erstmal die Möglichkeit gewesen, dieses Seminar so zu verankern. Wir haben eben ein ganz klein bisschen Geld dafür auch bekommen, dass ich eben eine studentische Hilfskraft einstellen konnte und wir vor allem diese Akteure, die wir besucht haben, dass das eben nicht nur im Ehrenamt stattfindet, sondern dass man wenigstens einen kleinen symbolischen Beitrag dann auch bezahlen kann. Eine Sache hat mir gut gefallen daran, dass war die Vernetzung, die institutionelle Vernetzung auch, die im Rahmen von diesem Programm vorgesehen war und ja, eben für mich dann auch der Anlass war, dass man eben gezielt auf diese Akteure zugeht. Also, das NS-Dokumentationszentrum in Arnstadt habe ich schon erwähnt, wir haben aber auch andere, wie zum Beispiel die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald Mittelbau-Dora, mit denen wir eigentlich in den letzten Jahren einen sehr lebendigen Austausch aufgebaut haben. Da muss man dazu sagen, es war auch nicht immer so in der jüngeren Geschichte Weimars, dass es eben auch da einen sehr fruchtbaren Austausch zwischen den Institutionen gibt.
Genauso mit der Klassik-Stiftung natürlich oder mit einer Gruppe von Leuten, die sich in Pößneck für Stolpersteine einsetzen und eigentlich aus eher so einer bisschen autonomeren Richtung kommen. Ganz vielfältige Gruppen da auch kennengelernt und das hat mir eben „Demokratie stärken“ auch ermöglicht. Und ich denke, es steht der Universität sehr gut, dass man da eben mit allem, was man hat, mit dem, was man produziert, auch in der Stadt und in der Region auch wirksam wird.
Man kann sich sogar noch mehr wünschen, dass man zum Beispiel mal schaut, wie können wir systematisch auch an Projekten zusammenarbeiten. Zum Beispiel ist eine Sache, die man immer wieder hört, ist der Wunsch nach Ausstellungsgestaltung, weil häufig an diesen Orten eben Ausstellungen gezeigt werden, die sind vielleicht ein bisschen veraltet, die sind inhaltlich zu überarbeiten. Die sind vor allem gestalterisch zu überarbeiten, aber da sind eben keine Ressourcen. Da ist zwar fachliches Know-how, aber dann fehlt vielleicht einfach so ein bisschen die Computer-Skills oder dass man weiß, auf welches Material man das drucken kann. Und das sind ja alles Sachen, die wir hier an der Bauhaus-Universität haben und da würde ich mir manchmal wünschen, dass man da nochmal ein bisschen stärker, auch systematischer guckt, was können wir tatsächlich hier in der Region auch bewirken und da wirklich was eben einfach beitragen, indem man was materiell herstellt, zum Beispiel.
KR: Ja, „materiell herstellt“ ist ein gutes Stichwort. Vor uns liegt nämlich Eure Publikation zur Bauhausstraße 11, in der auch sehr viele Akteur*innen, die Du jetzt benannt hast, auch mitgewirkt haben. Also, ich finde das ein sehr, sehr spannendes Buch. Ist auch im LUCIA Verlag, auch wiederum einer studentischen Initiative, publiziert worden. Und vielleicht für all die, die sich die elektronische Variante über die Seite vom LUCIA Verlag downloaden, denen wird ein Effekt entgehen. Erst mal super, dass dieses Buch Open Access ist. Also, das ist überhaupt nicht die Frage. Sondern man blättert sich in dieses Buch letztlich hinein, in dieses Gebäude hinein, von einer sehr starken Unschärfe hin in ein scharfes Bild und am Ende des Buches entblättert man sich wieder. Also, von dieser Schärfe wird es wieder unscharf. Jannik, wie war Deine Erfahrung bei der ganzen Produktion, bei den ganzen Texten? Was war das für eine Arbeit?
JN: Also, erstmal, ich glaube, Du hast es noch gar nicht genannt, das Buch heißt „Auf dem Weg zum Erinnerungsort“. Also, für diejenigen, die sich interessieren; ist Anfang des Jahres erschienen, genau. Dieser visuelle Effekt, der ist eigentlich eine Idee gewesen von unserer Gestalterin Ricarda Löser, die ja auch hier an der Universität lange Zeit war und unterrichtet hat und eigentlich immer so ein bisschen so eine Klammer gesucht hat.
Wir haben viel über das Thema Bilder gesprochen. Bilder waren, also das Reproduzieren von Bildern, war auch wichtig. Das kommt auch daher, natürlich, wenn man so ein Projekt mit Medienwissenschaftler*innen macht, dann fließt da eben auch sehr viel Reflexionsarbeit rein. Und wir haben uns auch dagegen entschieden, dass wir immer, immer wieder die gleichen historischen Bilder zeigen, weil wir damit eben auch natürlich Propagandafotografie aus dem Nationalsozialismus immer wieder aufrufen. Und trotzdem sind es natürlich auch wichtige historische Quellen, deswegen kann man nicht so ganz darauf verzichten.
Das war eben diese gestalterische Klammer mit dieser Unschärfe, das war eben für uns eine Möglichkeit, wie wir eben genau dieses Thema auch eigentlich prominent platzieren können: Was haben uns diese Bilder heute eigentlich noch zu sagen? Wofür brauchen wir sie noch? Als historische Quellen sicherlich, aber für die Vermittlung ist es so wichtig, dass wir immer wieder diese NS-Bilder zeigen, die wir natürlich alle auch so gewohnt sind. Und das gleiche natürlich auch mit der gesamten Aufmachung.
Wir hatten vorher schon ganz schon ganz kurz darüber gesprochen, über dieses Thema Nagelfeile und ja, alles ein bisschen auf Hochglanz poliert. Was passiert, wenn wir jetzt ein Buch verlegen, was eben auch fast in Richtung Coffee Table Buch geht, also, was sehr edel produziert ist und so stoßen wir da nicht auch auf Probleme? Das heißt, wir haben uns jetzt entschieden für ein Papier, was auch altert, also wenn es ein bisschen abgegriffen ist, wo die Ecken vielleicht auch abgestoßen sind, auch ganz bewusst und trotzdem sehr ausgewogene und frische und denke ich, dem Gegenstand sehr angemessene Grafikgestaltung. Also, das ist wirklich die Arbeit von Ricarda gewesen, die ich hier nochmal auch herausheben möchte, die dieses Buch unglaublich aufwertet, auch in seiner oder vor allem in seiner gedruckten Form.
Open Access war natürlich trotzdem ganz, ganz wichtig aus einer inhaltlichen Perspektive.
Wir wollen diese Information nicht gatekeepen und das ist eine Sache, die ich eben kritisiere, dass es immer noch, auch gerade im deutschsprachigen akademischen Umfeld, immer noch diese Tendenz gibt, dass man seine Schätze so ein bisschen bewahren will, indem so ein Buch dann 80 Euro kostet. Das finde ich unmöglich. Also Open Access sollte eigentlich Standard sein.
KR: Also, auf alle Fälle stimme ich Dir voll zu, und trotzdem freuen wir uns − wir haben ja auch festgestellt, dass verschiedene Bücher, die gerade auch in der Vitrine zum Thema Erinnern Gestalten standen, die im Magazin aufbewahrt werden, sehr stark abgegriffen sind − also, die erst letztes Jahr angeschafft worden sind. Also, wo ich immer denke, ich bin ja froh über jedes Buch, was auch Patina bekommt, wie das Papier letztlich auch Patina vielleicht heißt.
JN: Vielleicht noch ganz kurz, was ich vielleicht noch dann dazu ergänzen möchte, ist, dass das alles auch nicht möglich gewesen wäre ohne die finanzielle Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, die eben das Gebäude, nachdem es eben von einigen DDR-Institutionen genutzt wurde, 1990 restituiert bekommen hat, also, die Bauhausstraße 11. Das heißt, das ist immer noch im Eigentum der Kassenärztlichen Vereinigung und die hat dieses Forschungsprojekt finanziert und eben auch die Drucklegung von dem Buch. Und das hat sich als sehr fruchtbare und sehr kollegiale Zusammenarbeit herausgestellt und wäre eben ohne, ja dieses sehr große Engagement von Einzelnen in der Kassenärztlichen Vereinigung nicht möglich gewesen, dass wir das eben auch so aufwendig produzieren, plus eben Open Access.
KR: Ja, und das verweist vielleicht auch darauf, dass es eben nicht zwingend darum geht, dass man letztlich dann stolz auf ein Buch ist oder auf das, dass da eine Erinnerungstafel steht, sondern dass das ja bewirken soll, dass Leute sich damit befassen. Das ist ja der eigentliche Erfolg, wenn man so mag, oder? Würdest Du das unterschreiben?
JN: Ja, natürlich. Der eigentliche Erfolg ist, wenn man damit einen gesellschaftlichen Impact hat, wenn man damit soziale Realitäten verändert. Das ist immer ganz, ganz schwer zu messen. Ich weiß nicht, man gibt es dann auch ein bisschen aus der Hand. Ich finde es wichtig, dass diese Bücher hergestellt werden oder dieses Wissen produziert wird und dann ist es da und dann muss man einfach so ein bisschen schauen, was man dann als nächstes macht oder wie es weitergeht.
Ja, vielleicht noch die Gruppe, das war, also, wenn ich, ich sag immer „wir“, das ist ja auch häufig ein bisschen unscharf, also in dem Fall herausgegeben, es ist von Lilly Hallmann, die eben die Projektbearbeiterin war, Julia Bee und Franziska Klemmstein, die inzwischen beide Professorinnen an anderen Universitäten sind.
Und wir waren eigentlich über viele Jahre eine sehr, sehr schöne, sehr kollaborative und ja auch freundschaftlich verbundene Gruppe oder über dieses Projekt dann auch freundschaftlich verbunden geworden.
KR: Wie würdest Du den Begriff „Erinnerungstopographie“ da eingliedern? Spielt er da eine Rolle? Also ist das Buch ein Teil davon oder wie würdest Du das so ausdrücken?
JN: Ja, ich habe einen Beitrag geschrieben, der eben mit „Erinnerungstopografie Bauhaus-Universität“ auch überschrieben ist. Naja, das Buch hat eben durch seine Materialität auch eine Präsenz im öffentlichen Raum, in dem Fall in der Bibliothek zum Beispiel oder an anderen Orten, wo das Buch eben ausliegt oder sichtbar ist und wird damit natürlich Teil einer Topographie im materiellen Sinne. Aber es ist eben auch eigentlich ein erster Versuch, was zu beschreiben, was Weimar wirklich herausstellt. Und das ist eben diese Vielfalt an NS-Erinnerungsorten, eine Kanonisierung auch und aber eben auch Gegenbewegungen zu dieser Kanonisierung. Also, auch der Versuch eben andere Orte nochmal genauer in den Blick zu nehmen, zu schauen, was können die uns eigentlich sagen? Die vielleicht auch so ein bisschen im Verborgenen schlummern. Und das gehört natürlich zu einer Topographie auch immer dazu, also dass man eben auch eine Vielfalt einer räumlichen Repräsentation auch findet, die manchmal auch gerade in der Vermittlung ein bisschen unterkomplex wird.
KR: Die Bauhaus-Universität hat neben der Bauhausstraße 11 noch zwei weitere Gebäude. Wir befinden uns übrigens zwei Häuser weiter von der Bauhausstraße 11. Also, wir sind hier in der Bauhausstraße 15. Und auch diese unmittelbare Nähe wirkt sich schon auch aus, also wenn man allein an der Bauhausstrasse 11 vorbeigeht. Wie gesagt, es gibt noch zwei weitere Gebäude. Magst Du da kurz noch was dazu sagen?
JN: Ja genau, also es gibt noch zwei weitere Gebäude, an denen wir jetzt intensiv gearbeitet haben in den letzten zwei Jahren, auch ein bisschen parallel und nach Abschluss des Projekts zur B11. Das ist die Belvedere Allee 6, auch hier ganz direkt um die Ecke. Das ist ein Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert, was dann von einer Sängerin zusammen mit ihrem Mann bewohnt wurde. Diese Sängerin stammte aus einer jüdischen Familie, ist zwar sehr früh zum Christentum konvertiert, musste dann aber trotzdem in den 1930er und vor allem 1940er Jahren die Schikanen und die Repressionen der Geheimen Staatspolizei in Weimar erdulden. Das Haus ist dann auch zu einem jüdischen Zwangsraum geworden. Das heißt, jüdische Menschen aus Weimar wurden eben gezwungen in diesem Haus zu leben. Das wurde alles administrativ durchgesetzt und diese Person, Jenny Fleischer Alt, wusste eben keinen anderen Ausweg als den Suizid.
An diese Geschichte wird schon länger erinnert. Es gibt seit dem Jahr 2000 eine Messingtafel neben dem Eingang, die eben die Namen der Bewohner*innen auflistet und es sind auch Stolpersteine verlegt worden ein paar Jahre später. Und das ist eben damals als „Ghettohaus“ bezeichnet und auch heute noch ist das eben der Begriff, der von vielen verwendet wird. Und das Gebäude wird seit den 70er Jahren durch die Hochschule genutzt und seit Mitte der 90er Jahre ist das unter anderem das Büro des Kanzlers, aber viele haben auch ihren Arbeitsvertrag da unterschrieben. Also, das ist eben ein Verwaltungsgebäude.
Das andere ist die Marienstraße 13 und 15, das war seit 1935 der Sitz des sogenannten Landesamts für Rassewesen. Das war eine ganz finstere Institution, wo eben mit wissenschaftlichen Methoden oder wissenschaftsförmigen Methoden an rassepolitischen Themen geforscht wurde. Das heißt, die Thüringer Bevölkerung wurde eben statistisch erforscht. Es gab eben Erhebungen und Auswertungen von diesen statistischen Materialien und aber eben auch, man hat eben auch Politik gemacht, policy gemacht, in dem Fall Zum Beispiel über Gutachten, über Stellungnahmen, über Beratungstätigkeit für Regierungsvertreter, auch eben sogenannter rassepolitischer Hinsicht. Das heißt, menschliche Vererbungslehre, es wurden ebenso auf Grundlage von so erfundenen Kriterien dann irgendwelche Erbgesundheitsprognosen angestellt, Genehmigungen für Eheschließungen erteilt. Es wurde für Wohnungsbauprogramme wurden Familien ausgesucht, die eben auf Grundlage von eben ja so ein bisschen erfundenen Kriterien ausgesucht wurden. Aber es wurden eben auch Zwangssterilisierungen und sogenannte Krankenmorde oder Morde an Jüdinnen und Juden mit diesen Gutachten legitimiert. Also, das heißt wirklich ein fast vergessener Täterort direkt im Herzen auf unserem Campus und wirklich überfällig, dass auch der mit einer Informationstafel markiert wird, was jetzt aber ja passiert.
KR: Neben diesen drei Orten, die letztlich uns ja auch die Geschichte mitgegeben hat, wird es mit der Umbenennung des Audimax, also des zentralen Hörsaals in Maurice- Halbwachs-Auditorium am 4. Dezember eine ganz neue Qualität auch von Erinnerungsort geben. Also einerseits wird ja das Werk und die Persönlichkeit des französischen Soziologen und Philosophen Maurice Halbwachs geehrt. Also, er war zum Beispiel der Begründer des Konzeptes des kollektiven Gedächtnisses und war auch Wegbereiter des deutsch-französisch akademischen Austausches.
Im Sommer 1944 wurde Halbwachs in Paris verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar deportiert, wo er an den Folgen der Lagerhaft am 15. März 1945 starb. Und Du hast auch in der Vorbereitung mitgewirkt. Was hast Du gemacht?
JN: Ich hatte davon mitbekommen, dass es diese Umbenennung geben soll, aber Du bist dann ja eigentlich auf mich zugekommen und wir haben uns dann getroffen und haben überlegt, wie können wir eigentlich oder was steht jetzt an, was sind jetzt die nächsten Schritte? Aber Ihr habt ja im Präsidium zum Beispiel da ist viel, da ist schon viel passiert oder im Senat. Das heißt, ich konnte da eigentlich gar nicht so viel beitragen. Das Einzige, was ich gemacht habe ist, dass ich einen allerersten Entwurf für eine Tafel verfasst habe, die dann im Audimax hängen soll. Also, das heißt, diejenigen, die sich wundern, was hat es eigentlich mit diesem Namen auf sich? Die können sich dann eben da vor Ort im Audimax selbst schlau machen darüber.
Was ich mir wünschen würde für die Zukunft wäre, dass es irgendwann nochmal eine Tafel auch im Außenraum gibt, also dass man da auch sagt, diejenigen, die eben keinen Zugang zur Universität haben, natürlich steht es offen, aber es ist natürlich, hat es auch seine Restriktionen, auch die sollten eben die Möglichkeit bekommen, sich über diese Umbenennung und über diese Person und das Werk zu informieren. Also, ich würde mir wünschen, wenn im Innenhof oder Richtung Steubenstrasse, wenn es irgendwann eines Tages auch da nochmal diese Umbenennung sichtbar wird.
KR: Ja, ich kann ja auch erklären, warum ich auf Dich zugekommen bin, weil es ja auch einfach wichtig ist, genau diese Erfahrung, die Du jetzt seit einigen Jahren im Umgang mit Text zu dieser Thematik auch hast, diese Expertise, dass wir die natürlich auch nutzen und gerade auch wiederum beteiligen und sagen, es gibt Personen an unserer Universität, die natürlich da dabei sein können, insofern sie wollen. Also, auch das ist ja wieder ein Austausch oder auch ein Aushandlungsprozess? Ja, ein Aushandlungsprozess, genau.
Die Universität hat ja auch verschiedene Struktur- und Entwicklungspläne. Wir haben in diesem Jahr auch sehr partizipativ einen Struktur- und Entwicklungsplan verfasst, der von 2026 bis 2030 gehen wird und in dem wir an verschiedenen Stellen auch auf unser historisches Erbe hinweisen und ganz klare Position auch beziehen, zum Beispiel zu den Themen kritische Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis der Moderne oder aber auch was heißt es für uns, Demokratiebildung wirklich auch zu installieren, zu vermitteln? Wie verstehen wir uns? Was denkst Du, ist das ausreichend?
JN: Das ist ein bisschen eine müßige Frage, wenn man sich irgendwie anschaut, was in Thüringen politisch gerade so losläuft. Ich will da jetzt keine großen Ausführungen irgendwie zu anstellen, kann aber natürlich sagen, dass wir diejenigen, die sich mit dem Thema NS-Erinnerungen in Weimar beschäftigen, haben natürlich schon immer so ein bisschen die Befürchtung, was passiert, wenn es eben hier eine rechte Regierungsbeteiligung gibt? Weil eben viele der Institutionen sind Landesinstitutionen, man hängt dann teilweise unmittelbar am Land mit dran. Das heißt, da macht man sich dann schon so ein bisschen Sorgen und da muss man sagen, ja, es ist wahrscheinlich offensichtlich nicht genug passiert.
Generell haben wir natürlich diese für mich auch immer noch offene Frage: Was können wir überhaupt mit historischer Aufklärung, mit historischer Meinungsbildung zum Thema Nationalsozialismus, was können wir überhaupt beitragen? Was erreichen wir damit? Und sicherlich ist das nicht zielführend, wenn man eben Pflichtprogramme macht, wo dann eben nach Schema F irgendwie was vermittelt werden soll. Sondern es muss natürlich hochindividualisiert sein, ganz sensibel, auch ganz sensibel mit den Gruppen.
Ich habe das ja jetzt schon gemerkt. Und da war es eben nur, in Anführungsstrichen nur eine Gruppe, eine internationale Gruppe von Studierenden, wie unterschiedlich die Zugänge sein können. Wir hatten eben auch zwei Studentinnen aus Italien, die natürlich ihre italienische Erfahrung auch mit eingebracht haben, die teilweise eine ganz andere war. Fast mit einem befremdlichen Blick manchmal auf deutsche Erinnerungskultur geschaut, obwohl wir natürlich diese ja auch fast geteilte gemeinsame Vergangenheit haben mit eben diesem faschistischen oder nationalsozialistischen Erbe.
Also, das heißt, das bleibt eine offene Herausforderung: Wie kann Demokratiebildung über historische Wissensvermittlung und historische Meinungsbildung funktionieren? Ich habe das auch in den Antrag damals reingeschrieben für „Demokratie stärken“. Ich bin der Meinung, dass wir Multiplikator*innen ausbilden sollten an der Bauhaus-Universität. Und damit meine ich nicht nur Leute, die später mal in der Gedenkstätte als Bildungspersonen arbeiten, sondern das kann eben auch die Bauingenieurin sein, die sich mit der Restaurierung von einem Brückenbauwerk aus den 1930er Jahren beschäftigt und überlegt, okay, was bedeutet das eigentlich für meine Arbeit als Brückenbauingenieurin, wenn ich eben hier diese von Friedrich Tams gestaltete Autobahnbrücke habe oder so.
Auch da findet eben historische Meinungsbildung statt und vielleicht sogar da noch mehr als an anderen Orten, weil das genau diese Orte sind, die eben häufig vergessen werden. Und bis hin eben, und wir sehen das eben regelmäßig, bis hin zum bewussten Abriss von zum Beispiel KZ-Gedenkstätten, dass da dann irgendwelche Gebäude, die Privateigentümern gehören, dann der Abrissbirne zum Opfer fallen. Es gibt diese unsägliche Geschichte mit der Goebbels Villa in Wandlitz bei Berlin, wo man nicht so richtig weiß, wie man damit umgehen soll. Da gibt es auf jeden Fall noch viel zu tun im Hinblick auf das materielle Erbe. Und das ist eben auch ein bisschen paradox, aber auch da tickt die Zeit, nicht nur bei den Zeitzeug*innen, sondern auch diese Orte sind eben nicht sakrosankt, selbst wenn sie unter Denkmalschutz stehen.
KR: Würdest Du zustimmen, wenn es heißt, ja, die Universität muss ein politischer Ort sein? Es muss hier vermittelt werden, welche Grundsätze, Wertesysteme, ob es Chancengleichheit, Diversität, Antidiskriminierung angeht, all das ganze Spektrum. Ist es wichtig? Oder, also Du hast es ja schon auch gesagt, aber vielleicht nochmal zu schärfen: Ist die Universität ein politischer Ort?
JN: Ja, also die Universität ist natürlich ein politischer Ort, weil sie zuallererst mal politisch denkende Menschen zusammenbringt. Das sieht man ja auch auf dem Campus. Also, da findet ja auch politische Meinungsäußerungen statt. Ich denke, dass gerade Universitäten auch Schutzräume für politische Meinungen sein können. Also, Meinungsfreiheit ist, glaube ich, ein sehr wichtiges Gut, solange sie eben auch die Meinung anderer zulässt und eben da auch Räume eröffnet. Andererseits denke ich nicht, dass es eine parteipolitische Bindung oder so gibt, das ist eben den einzelnen Angehörigen selbst überlassen. Was ich aber für ganz, ganz wichtig halte, und das hatte ich vorher schon angedeutet, ist, dass wir uns alle als politische Menschen verstehen und das in der Universität auch gelehrt bekommen.
Kein akademisches Fach ist ein neutrales Fach. Wir alle agieren in der Gesellschaft, wir alle verändern soziale Realitäten durch unsere Arbeit. Sei das eben der Gestalter oder sei das eben die Brückenbauingenieurin. Und das heißt, wir brauchen unbedingt auch ein gesellschaftspolitisches Verständnis von unseren Fächern.
Und das sollte die Universität auf jeden Fall weitergeben. Und das ist ihre Rolle in der Gesellschaft. Nicht nur Formeln und Freihandzeichnen vermitteln, sondern tatsächlich eben auch danach zu fragen, was kann ich mit meiner Ausbildung, die mir ja auch von der Gesellschaft irgendwie geschenkt wird, was kann ich zurückgeben in einem produktiven, positiven Sinne.
KR: Ja, und das möchte ich gerne erst mal so stehen lassen, dieses Statement, weil leider kommen wir auch langsam schon zum Abschluss. Und das ist in gewisser Weise heute auch ein doppelter Abschluss. Also, einerseits der Abschluss unseres Gesprächs und an dieser Stelle möchte ich unbedingt auch den Personen danken, die diese Folge ermöglicht haben. Und das sind Simon Frisch, Nicole Baron, Jonas Rieger und Steven Mehlhorn. Dankeschön. Andererseits gibt es aber noch einen zweiten Abschluss, denn heute ist der 30. Oktober 2024 und damit für Dich, Jannik, auch ein ganz besonderer Tag. Es ist nämlich Dein letzter Arbeitstag an der Bauhaus-Universität Weimar und damit schließen sich zwei letzte Fragen an. Erstens: Wie blickst Du zurück? Und zweitens, was passiert ab morgen?
JN: Genau, morgen ist etwa Feiertag, das heißt, heute ist tatsächlich mein letzter Arbeitstag. Deswegen bin ich erst mal sehr, sehr froh, dass es heute noch stattfinden kann. Und Katrin, Dir erstmal vielen Dank für das Engagement und allen anderen, die Du schon genannt hast. Das ist sehr schön.
Ich sitze hier heute auch stellvertretend, weil ich wirklich für meine Seminargruppe sprechen möchte, die wirklich in herausragender Weise irgendwie mitgearbeitet hat. Das kennt man ja auch anders. Also, das war wirklich was ganz Besonderes und da gehen nochmal auch ganz liebe Grüße an alle raus. Das ist mir auch wichtig.
Wie blicke ich zurück, naja gut, ich war jetzt einige Jahre hier natürlich. Also, ich bin vor zwölf Jahren habe ich zum ersten Mal die Universität betreten. Es gab immer mal wieder Perioden, wo ich auch mal länger weg war, aber ich bin irgendwie immer wieder zurückgekommen. Das heißt, hier an der Bauhaus-Universität habe ich, ich weiß gar nicht, wie ich das zusammenfassen soll, aber hier habe ich natürlich gelernt, auch ein Mensch in der Gesellschaft zu sein, auch in der Stadtgesellschaft. Das hat mir Weimar auch gelehrt, weil Weimar eben auch ein ganz besonderer Kosmos natürlich ist. Hier habe ich unglaublich viele Menschen kennengelernt, und ja, meinen Freundeskreis aufgebaut, also habe der Universität und der Stadt sehr, sehr viel zu verdanken und hoffe, dass auch in Zukunft als Ort immer bestehen bleibt. Es gibt einen Verein, in dem ich mich engagiere, das ist in Oßmannstedt bei Weimar. Das wird auf jeden Fall auch erhalten bleiben.
Und ab morgen, also der nächste Schritt für mich ist erstmal ein langer Urlaub, darauf freue ich mich jetzt und am Ende von dem Urlaub ist dann wahrscheinlich ein Bewerbungsprozess für die nächsten Schritte. Ich bin ausgebildeter Stadtplaner, Urbanist, das heißt, es könnte sein, dass ich in dem Bereich arbeite, aber ich bin auch sehr, sehr gerne Wissenschaftler und finde daran Freude und habe eben auch das Gefühl, dass ich gesellschaftliche Realitäten auch da verändern kann und ich hoffe in einem produktiven und positiven Sinne.
KR: Ja, in diesem Sinne danke ich Dir für dieses Gespräch und wünsche Dir das Allerbeste und dass dDu all die Vorhaben, die dann so auf Dich warten, verwirklichen, realisieren kannst. Vielen Dank, lieber Jannik für dieses Gespräch.
JN: Danke. Und danke, Katrin.
KR: Das war die Bonusfolge Erinnerungsorte an der Bauhaus Universität Weimar, deren Erforschung und Vermittlung in der Lehre. Ich danke Jannik Noeske, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bauhaus-Universität Weimar und Experte für deren Erinnerungsorte, für diese besonderen Einblicke. Mein Name ist Katrin Richter und herzlichen Dank für Euer Interesse.
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