Ep. 01 – Gespräch mit Ludwig Lorenz

Shownotes

Ludwig Lorenz erzählt Simon Frisch davon, wie er als Schüler die Schönheit der vollendeten Induktion entdeckte und nun den Funken, der übersprang, an andere weitergeben möchte. In dieser ersten Podcast-Episode erkunden beide, wie man diesen Funken für ein Thema oder für das ganze Studium finden kann, welche Rolle Improvisationstheater in der Lehre spielt und inwiefern Lernen selbst als ein ästhetisches Ereignis erfahren werden kann. Ludwig Lorenz bringt unter anderem das Bild der Lehre als Landschaftsgarten ein. Welche Wege sind vorgegeben? Welche Sichtachsen werden angeboten? Wann schlägt man sie ein und an welcher Stelle tritt man zur Seite und wechselt den Blick? Wann wagt man sich auf einen Trampelpfad? Und weil Lernen manchmal anstrengend ist und Veränderung bedeutet, braucht es Entlastung: Wie können diese Parkbänke aussehen und wann sucht man sie auf?

Mitwirkende:

Host: Simon Frisch

Sound-Design und Schnitt: Jonas Rieger, Laura Khachab, Moritz Wehrmann

Musik: Sebastian Lederle

Artwork: Andreas Wolter

Ton und Technik: Moritz Wehrmann, Zaryab Chaudhry

Marketing und Social Media: Claudia Weinreich, Marit Haferkamp

Juristische Beratung: Laura Kister

Digitale Barrierefreiheit: Christiane Hempel

Transkript: Laura Khachab

Produktion: Nicole Baron

Distribution: Jonas Rieger, Ulfried Hermann

Weiterführende Links:

www.uni-weimar.de

https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/lehre/

Denkfabrik Didaktik: https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/digitalchangemaker-denkfabrik-didaktik

Folgenwebsite:

www.uni-weimar.de/lehre-podcast

Transkript anzeigen

Episode 1 – Zu Gast Ludwig Lorenz

Ludwig Lorenz: LL

Simon Frisch: SF

Trailer:

Trailer: Verschiedene Stimmen sagen “Ähm“.

Trailer: Mein Name ist Simon Frisch und ich spreche hier mit Lehrenden aus allen Bereichen der Universität über Lehre und Lernen, über ihre Erfahrungen und ihre Perspektive auf Lehre und Lernen.

SF: Das Mikro ist aufgegangen und wir treten auf. Beginnen wir mit ein paar Worten zu den handelnden Figuren für die nächsten fünfundvierzig Minuten. Wer sind wir, wenn wir hier sprechen? Wer ist hier überhaupt? Als wer sind wir hier? Wir sind ja immer viele. Ich zum Beispiel, ich bin ein Sohn von Eltern, ein Bruder von einer Schwester, ein Cousin von Cousinen, auch ein Vater von Kindern, ein Ehemann, ein Schwiegersohn. Ich bin ein Freund von Freunden, ein Feind von Feinden. Ich esse gern, ich lese gern, ich geh gern schwimmen und reiten, ich geh gern ins Kino, aber so zahlreich bin ich ja gar nicht hier jetzt. Ich bin auch ein Dozent, ein Vizepräsident, Vizepräsident für Lehre und Lernen und als diese beiden, als diese beiden vor allem, bin ich vielleicht hier. Ich bin hier als Lehrender und als Vizepräsident, der sich für Lehre und Lernen interessiert und seit zehn Jahren hier an der Bauhaus Universität unterrichtet und seit 1999, also seit etwa fünfundzwanzig Jahren unterrichte ich überhaupt. Und ich lehre gern. Und trotzdem weiß ich gar nicht genau, was das ist und deswegen machen wir hier diese Gespräche. Also wer bist Du hier? Als wer wirst Du hier mit mir sprechen?

LL: Danke, Simon. Ich bin Ludwig Lorenz. Ich studiere Medieninformatik hier an der Bauhaus Universität seit 2018 schon und ich hab in dieser Rolle ganz viel Lehre mitbekommen. Manchmal passiv, aber viel auch aktiv, denn ich betreue auch seitdem einen Förderkurs für Informatik, die Bauhaus Digitalwerkstatt. Seit diesem Jahr mit Emily, meiner Kommilitonin zusammen, treffen wir uns alle zwei Wochen und bringen Oberschüler und Oberschülerinnen in der Region etwas zu den Grundlagen der Informatik bei und warum sie so wichtig ist und wie sie unsere Gesellschaft verändert.

SF: Okay, super. Wie geht - wie geht -? Das ist nämlich was, ich lehre ja in 'nem theoretischen Fach, also in 'nem geisteswissenschaftlichen Fach, Wie unterrichtet man Informatik?

LL: Es ist - Also, generell Naturwissenschaften, hab ich manchmal im Gefühl, ist etwas komplett anderes, weil sie so eindeutig sind. Es ist irgendwie verlangt in in der Lehre und in dem, was wir lernen, dass die Dinge, die wir lernen, exakt sind, eindeutig sind in ihrer Bedeutung. Ich kann mich sehr gut erinnern an den Moment, an dem ich eigentlich zu meinem Informatikstudium gefunden habe. Da war ich in der elften Klasse, war genau an der gleichen Stelle, auch in diesem Förderkurs für Informatik. Den hat damals noch Andreas Jakobi, unser Dozent gemacht. Und ich saß da drin als Schüler hier aus der Region und hab halt eben auch zugehört: „Hm, was ist denn jetzt diese Informatik? Geht mich das überhaupt was an?“ Ich war auch ganz anders interessiert, ne? Ich hab Deutsch geliebt, hab Improvisationstheater gemacht.

SF: M-hm!

LL: Und trotzdem saß ich dann in diesen Informatikkurs und wir haben über vierdimensionale, fünfdimensionale Würfel diskutiert, die man sich ja eigentlich gar nicht vorstellen kann und trotzdem irgendwie versucht, sie vorzustellen. Und auf einmal hatte ich irgendeine Idee, Eingebung, und gesagt: „Für die n-dimensionalen Würfel geht jetzt genau das.“

SF: Aha.

LL: Und Andreas ist auf mich zugegangen und hat gesagt: „Ja, aber wie kannst Du's mir beweisen, wenn ich es dir nicht glaube?“ Und da hab ich erst mal so richtig verstanden, was der Kern dieses naturwissenschaftlichen Denkens ist. Nicht nur des naturwissenschaftlichen Denkens, auch ganz vielen anderen Arten des Denkens in der Philosophie ja ebenso. Wir müssen Dinge beweisen können.

SF: Okay, das wollte ich nämlich grad fragen. Du hast gesagt, du hast viele Interessen und so weiter gehabt und irgendwann hast du gemerkt, das geht dich etwas an. Das finde ich eine tolle Formulierung. Was war dieser Moment? War das dieser n-? Also, aber wie kamst du drauf? Andreas Jacobi hat diesen Unterricht gemacht und plötzlich sagst du: „Jetzt mach ich, jetzt fasse ich in den Gedanken und ich mach jetzt weiter, ne?“

LL: Ja.

SF: Und dann ging's dich was an. Kann man das so beschreiben?

LL: Dann ging's mich was an. Aber das war noch nicht der Moment, in dem ich in dem ich so `ne Essenz der Schönheit gespürt habe.

SF: Schön.

LL: Von dem, was uns umgibt.

SF: Aha.

LL: Sondern Andreas hat mir daraufhin gezeigt, wie eine vollständige Induktion funktioniert. Das ist ein Basisbeweisverfahren in der Mathematik. Zuvor haben wir in der Mathematik in der Schule nie bewiesen. Wir haben immer nur für Gesetz genommen, dass was gilt, Satz des Pythagoras. Das ist halt ein Gesetz, das wenden wir an Und ich war erst mal völlig schockiert, dass man die Sachen in der Mathematik beweisen muss.

SF: Ah ja.

LL: Man denkt ja nicht drüber nach und dann hab ich mich nach der Stunde hingesetzt, hab mir zwei Blätter weißes Druckerpapier genommen, einen Stift und hab mir den Wikipedia Artikel zur vollständiger Induktion angesehen und hab versucht, meine Aussage aus dem Kurs mit diesem Beweisverfahren zu beweisen. Und das war der Moment, wo ich gemerkt habe: „Jetzt geht es mich was an.“ Weil auf einmal mache ich diese Aussage, die ich getätigt habe, auf einmal verpflichte ich mich, dem auch was entgegenzuliefern, einen Beweis zu erbringen.

SF: Ich find das total, total interessant, elektrisierend gerade zu, dass du sagst, das war 'n Moment der Schönheit.

LL: Mhm.

SF: Und ich finde das ganz wunderbar. Also ich kann das so auch nachfühlen, wie wir jetzt hier sitzen. Vielleicht überträgt sich das auch an die an die an die an die an die Hörerinnen und Hörer. Und dann sagst du, es gab diesen Moment der Schönheit, als du zum ersten Mal verstanden hast, was eine vollständige Induktion ist.

LL: Mhm.

SF: Da würden einige Geisteswissenschaftlerinnen und so weiter und so weiter ja sagen: „Schönheit“ - Und jetzt kommt: vollständige Induktion. Also das finde ich großartig. Gleichzeitig finde ich aber auch fantastisch, die Schönheit der Mathematik, das ist ja nicht, das das ist ja jetzt nicht besonders überraschend, dass es das - das gibt's ja, als Topos. Und dann, was ich aber vor allem interessant finde, ist, dass es doch, wenn man so will, wenn man sagen, man kann sagen, das ist 'n Moment, der affektiv oder auch ästhetisch ist, indem du sagst: „Jetzt geht's mich was an.“ Das ist 'n ästhetisches Ereignis, oder?

LL: Ein ästhetisches Ereignis, inwiefern?

SF: Es ist so schön. Es ist eine Schönheitserlebnis, es ist 'n Erlebnis von Schönheit.

LL: Ja, vor allem ist es 'n privilegiertes Erlebnis.

SF: Warum?

LL: Wenn man das spürt. Weil - weil ich in dem Moment weiß, das ist kostbar. Das kann ich nicht einfach reproduzieren, indem ich durch irgendwelche Internetforen scrolle oder indem ich indem ich durch irgendwelche Internetforen scrolle oder indem ich mir irgendwelche Texte durchlese.

SF: Ja.

LL: Sondern der ist kostbar und den kann ich mir jetzt behalten. Und gleichzeitig erzeugt das aber auch 'n Wunsch.

SF: Ja.

LL: Genau diesen Moment an andere Menschen weiterzugeben. Zumindest ist das für mich so die Motivation in der Lehre. Wenn ich in der Lehre bin und anderen Menschen etwas beibringen möchte, dann bin ich als Mensch viel aufrichtiger, als ich vielleicht sonst bin, weil ich mich komplett öffnen möchte und - und meine Perspektive anderen Menschen zeigen will. Und ich hoffe, dass die Leute durch diese Perspektive, die ich darlege, einen ähnlichen Moment in sich spüren.

SF: Schönheit erfahren.

LL: Ja.

SF: Gelingende Lehre ist eine Schönheitserfahrung. Finde ich eigentlich wunderbare, also ist eine - ein schöner Zwischensatz, den wir machen können. Und ich hab einmal verschiedene Definitionen von Lehre zusammengetragen. Und zwar hab ich in der Uni Jena, an der Uni Jena eine, also das war so ‘n Graffiti, so kam ich drauf: „Lehre ist nicht das Befüllen von Amphoren, sondern das Entzünden von Fackeln“, Heraklit in Klammern. Also, gute alte traditionelle Universität, zitiert niemand geringeren als letztlich einen Vorsokratiker. Aber trotzdem, also bleiben wir mal bei dem Bild. Also, das Befüllen von Amphoren oder das Entzünden von Fackeln. Ist das überhaupt eine Alternative? Braucht man dritte Bilder? Was sagst Du dazu?

LL: Das Befüllen von Amphoren ist, glaube ich, ein sehr konservatives Bild von Lehre, was auch relativ weit verbreitet ist. Also, ich kenn ich kenn durchaus auch viele Profs, für die ist Lehre ein Akt der Wissensvermittlung. Wo es dann eben darum geht: Okay, ich hab das Wissen hier auf meinem auf meinem Tisch stehen und das muss jetzt irgendwie ankommen bei den Studierenden. Und wenn ich dann eine Jura Vorlesung mache, dann reicht's vielleicht doch einfach mal aus 'nem BGB vorzulesen, ne, dann ist das Wissen vermittelt.

SF: Okay. Ist das Wissen dann vermittelt? Grade hast Du ja von deinem eigenen Erlebnis von was anderem erzählt. Andreas, Herr Jakobi hat ja sehr viel erzählt, du hast ja nicht die ganze Zeit gesagt jetzt will ich Informatik studieren. Es gab einen Moment.

LL: Ich glaub, ich würde Wissen und Erkenntnis voneinander trennen.

SF: Aha.

LL: Wissen ist etwas, das ich abrufen kann. Das ist vielleicht gespeichert in meinem Kopf. Erkenntnis ist aber für mich 'n Moment von Verständnis, dass ich weiß, warum das Wissen da ist, welche Berechtigung es überhaupt hat, da zu sein.

SF: Also ist das Befüllen von Amphoren, wär sozusagen, man füllt vom einen ins andere und der - der Lernende, die lernenden Personen sind Behälter, deren Aufgabe ist es, etwas zu behalten, also was jetzt Behälter betitelt.

LL: Und was abzurufen.

SF: Und dann auch wieder ab abzugeben. Genau.

LL: Aber –

SF: Das heißt, die Amphore kann aber nicht portionieren, sie kann auch nicht sortieren, ist 'n bisschen komplexere Behälter, oder?

LL: Ein komplexerer Behälter? Sie kann nicht sortieren, sie kann nicht…

SF: Wenn sie anruft und wieder rausgeht, also wenn ich was in der Amphore fülle, dann ist ja da einfach in dieser Amphore alles drin, aber es ist ja nicht -

LL: Geordnet.

SF: Richtig.

LL: Sortiert. Gemischt. Ja, ja, so kann man's sehen. In der Fackel ja vielleicht auch nicht.

SF: Genau. Wollte ich nämlich grad fragen, wie ist das mit der Fackel eigentlich? Entzünden von Fackeln? Was machst Du mit dem Bild?

LL: Na ja, Entzünden von Fackeln ist eigentlich, dass man die Leute dazu befähigt, die eigene Neugierde weiterzugeben. Und dass die Menschen eine intrinsische Motivation entwickeln können, weiter dieses Lehrgebiet zu erforschen und zu durchwandeln.

SF: Warum ist das Bild „Entzünden von Fackeln“ dafür geeignet, was du beschreibst?

LL: Ich glaube, weil in jedem Menschen von uns eine Fackel schlummert.

SF: Aha.

LL: Und dass es manchmal nur einen Funken braucht, ganz viel von uns selber zu entfachen. Anders als bei der Amphore, ne. Also das, was ich übertragen muss bei der Empore sind vielleicht zig Liter an Flüssigkeit. Und bei der Fackel ist es aber vielleicht dieser eine Funke, der reicht, der zur Selbstständigkeit animiert.

SF: Wir sind also sozusagen brennbar und entzünden uns an, wie du jetzt an dieser vollständigen Induktion. Und dann branntest du für die Informatik und seitdem… seitdem fütterst du dein Feuer weiterhin mit dem Brennstoff der - oder so.

LL: Und was kann man, also was kann man mehr wollen? Die… auf einmal ist es ja da, wenn ich diesen Funken habe und was entbrannt wird, dann - und etwas mit 'ner Emotion auch verbinde, wie die vollständige Induktion. Wenn das einmal in meinem Kopf verknüpft ist, dann begleitet mich das Wissen ja die ganze Zeit und die Qualität des Wissens besteht ja nicht darin, dass ich das abrufen kann, wenn ich danach gefragt werde, sondern darin, dass es sich von selber abruft, wenn ich sinnverwandte Elemente entdecke in der Welt.

SF: Das finde ich total schön, dass du jetzt sagst, es ruft sich von selber ab. Und ich - tatsächlich stand auf dieser Wand in Jena nicht mehr, aber später bin ich bei einem Blättern, beim Durchblättern von einem Buch von einem Zenmönch war das in dem Fall Kudo Sawaki heißt der, der im zwanzigsten Jahrhundert gelebt hat und gelehrt hat. Der hat gesagt, die Lehre zu hören bedeutet, eine leere Pumpe am Anfang mit etwas Wasser zu füllen. Solange die Pumpe nur mit Luft gefüllt ist, pumpt sie nichts, weil kein Sog entsteht. Füllt man aber Wasser hinein, dann fängt sie an, das Wasser aus der Tiefe zu pumpen. So kommt das anfangs eingefüllte Wasser, also die Lehre, die gehörte Lehre wieder aus der Pumpe heraus. Und das Wasser, danach aus der Pumpe fließt, stammt wieder - nicht wieder, sondern weder vom Meister noch vom Buddha, er ist ja Zen-Mönch, sondern aus der Tiefe des eigenen Brunnens. Und das passt eigentlich besser zu dem, was du grad beschrieben hast, wo du sagst, das sprudelt dann sozusagen aus mir selbst heraus. Also, da verbrennst du gar nicht, da brauchst Du gar keinen Brennstoff, sondern es ist deine eigene Quelle, die dann zum Sprudeln kommt. Funktioniert das als Bild?

LL: Mhm. Was mir gleich bei beiden Bildern aufgefallen ist, dass das, was die Lehre auslöst, ne, also entweder es sind die Flammen oder es ist das Wasser, das gefördert wird, das hat alles die gleiche Qualität. Ich glaub nicht, dass das bei Wissen stimmt. Wissen hat nicht immer die gleiche Qualität, sondern manches kann mehr Relevanz haben, manches kann weniger Relevanz haben und es kann sich auch ändern im Lauf der Zeit. Und was du ja auch angesprochen hattest, es ist nicht sortiert, es ist nicht vernetzt, ne. Aber Wissen ist was sehr vernetzt ist. Wenn wir an unserem Kopf denken und assoziiert - wir denken assoziativ, dann verknüpfen wir Konzepte und Begriffe, die schon da sind, miteinander. Und das kann ja Wasser als Flüssigkeit nicht leisten. Das kann auch Feuer nicht leisten, weil die erfüllen eigentlich die Entropie, dass alles möglichst verteilt ist.

SF: Mhm. Besonders… besondere Momente, die du selber in deiner Lehrtätigkeit, Vermittlungstätigkeit, besondere Momente des Gelingens, aber auch besondere Momente des Scheiterns. Hast du da Anekdoten, Geschichten?

LL: Ja. 2020 war für mich so ‘n… erster Meilenstein auch in der Lehre. Da wurde ich als Tutor angestellt für „Formale Sprachen“ und „Komplexitätstheorie“, dann im Semester darauf. Und die haben mich unheimlich gefesselt, weil unheimlich mathematische Fächer. Ich hab’s ja grad schon erwähnt, das ist etwas, das einen Funken in mir auslöst. Und ich hab oft darüber nachgedacht, auch, wenn mich andere Leute gefragt haben: Wie vermittel ich denn diese schöne Schönheit in - in der Mathematik, in der in der Komplexität von Dingen? Ja. Und für mein Tutorium, ne, war eine ganz normale Hiwi Stelle, wie es die ja oft gibt an der Uni, hab ich zum einen Aufgaben korrigiert von Studierenden. Aber ich hab mir auch selbst den - die Auflage gegeben, ich möchte eigentlich auch meinen eigenen Lerninhalt erstellen. Und damals war frisch Corona 2020 und ganz viele, ganz viel Lehre wurde jetzt quasi ins Digitale verlagert. Oft auch eins zu eins, ne? Also, der Vorlesungsinhalt wurde kopiert und in Videos hat man das einmal sich dann angesehen als Studierender und irgendwann hat man dann realisiert: Ich bin jetzt irgendwie sechs, sieben Stunden am Tag eigentlich nur noch von meinem Computer und was kann ich denn mit meinem Leben anfangen? Das war eine deprimierende Zeit für uns alle Studierende. Das kann ich ganz gut aus eigener Erfahrung widerspiegeln. Und ich dachte, Lehre muss eigentlich anders sein und besser funktionieren und sich an die Umstände anpassen von den Leuten, die die Lehre aufnehmen sollen, die Lernenden.

SF: Ah.

LL: Und deswegen hab ich ein kleines Hörspiel produziert zu dem Thema Komplexitätstheorie.

SF: Ah ja.

LL: Und versucht mit den Metaphern, mit denen ich mir selbst Dinge herleite. Also, ich bin so `n großer Vereinfacher, ich scheue ganz oft komplizierte Sätze und muss die für mich einfach erstmal in Atome aufspalten, um die zu verstehen. Ich hab nämlich immer die große Sorge, dass ich Bedeutung zwischen den Zeilen dann übersehe und vergesse und 'n Ding nicht in seiner ganzen - in seiner Ganzheit erfasse. Das ist gerade in den Naturwissenschaften total dramatisch.

SF: Ah ja.

LL: Und deswegen hab ich versucht, meine Metaphern in diesem Hörspiel umzuwandeln und genau, wir könnten ja einmal kurz reinhören.

SF: Sehr, sehr gerne.

SF: [Hörspiel wird eingespielt:]

Herzlich willkommen im Problemdschungel, der ersten Station auf unserer Reise. Vielleicht habe ich es mit der Fantasie doch ein bisschen übertrieben. Hier kommt man nämlich schnell ins Schwitzen. Ja, nicht ungewöhnlich. Fakt ist, die Anfangshürde in der Komplexitätstheorie ist vergleichsweise hoch. Gleich das Erste, was wir von diesem Fach zu hören bekommen, trägt, na ja, „kompliziert“ im Namen. In dieser Veranstaltung werden wir uns hauptsächlich mit Problemen beschäftigen. Dabei genügt es übrigens nicht, ein konkretes Problem zu lösen, auch nicht, eine Lösung für seine verallgemeinerte Version zu finden. Das wär ja langweilig. Nein, als angehende theoretische Informatiker und Informatikerinnen gehen wir dabei ähnlich wie ein Biologe im Urwald vor: Wir erforschen die Beziehung zwischen den Problemen. Und untersuchen sie auf Hierarchien. Also quasi, welches Problem ganz oben in der Nahrungskette steht. Dabei werden wir auf erstaunliche Erkenntnisse stoßen. Es ist nicht nur so, dass einige Probleme beweisbar komplizierter zu lösen sind als andere, denn das habt ihr sicher schon vermutet. Erstaunlicherweise werden wir zeigen, dass viele Probleme, die von außen betrachtet nur wenig miteinander gemeinsam haben, beweisbar gleich kompliziert sind. Und noch verrückter, wir können Lösungen aus dem ein – [Hörspiel Ende.]

SF: Also, so, als Beispiel. Und das war ein Hörspiel, was du hochgeladen hast, dann konnten die Leute sich das anhören. Was war die - was war die beglückende Erfahrung mit diesem Lehrkonzept?

LL: Dass mir auf einmal Studierende geschrieben haben, wie dankbar sie sind, weil sie mit dem Format des Hörspiels auch einfach mal raus in die Natur gehen konnten und sich nicht für eine Vorlesung vor den Rechner fesseln mussten, sondern einen tollen Spaziergang machen konnten, im Park zum Beispiel.

SF: Ja, ja.

LL: Und währenddessen dann das Lehrkonzept verinnerlichen.

SF: Ach, tatsächlich. Du arbeitest ja da sehr bildhaft, überträgst letztlich diese mathematischen Ansätze oder Fragen, Inhalte, Kompetenzen? Was - was ist eigentlich Mathematik? Ist es eine Kompetenz? Ist das 'n Thema? Ist es `n Wissen? Ist es - was sind die Dinge, die mit denen du vor allem in deiner Lehre zu tun hast? Wie würdest du's nennen? Sind's Methoden?

LL: Mathematik ist erst mal ein großes Mysterium, von dem wir nicht wissen: Leiten wir es eigentlich nur ab aus der Realität oder ist es die Essenz der Realität, die wir mit der Mathematik entdecken? Große, spannende philosophische Fragen, die sich damit beschäftigen. Und gleichzeitig versucht Mathematik aber auch immer die Essenz der Realität aufzufangen. Also, eine ganz große Fähigkeit, die Menschen haben müssen, ist Abstraktion und logisches Denken.

SF: Mhm.

LL: Und ich glaube, dass man das eigentlich sehr gut vermitteln kann.

SF: Bringt dir deine Erfahrung als Improvisationstheaterkünstler, darf ich das mal so sagen, bringt dir das was für deine Lehre mit? Greifst du darauf zurück? Merkst du bewusst, dass du sagst: „Yes, hier schließ ich jetzt wieder an.“ Oder?

LL: Also, das Tolle an der Improvisation ist ja, dass ich oft in Sekundenschnelle überlegen muss und - und dann bin ich in 'ner Situation, muss mit neuen Personen vielleicht umgehen, muss Rollen spielen, mich in andere Rollen hineinversetzen. Ich glaub, das sind unheimlich wichtige Fähigkeiten, die auch Lehrende haben müssen, ne. Die müssen sich auch in die Rolle der Studierenden reinsetzen, die müssen flexibel sein, weil wenn ich eine gute Lehrperson bin, dann weiß ich, glaube ich, auch, was ist denn jetzt der beste Weg, um einen Lernenden vor mir zu erreichen und meine Perspektive zu öffnen. Ich hatte auch noch mal 'n ganz gutes Beispiel -

SF: Ganz kurz aber dazu noch mal, erlebe ich genauso übrigens, würde ich unterstützen. Ich komm rein, hab, wenn ich sehr viel vorbereitet habe, sehr viel vorhab, passiert mir das, dass ich merk: Oh Gott, das geht ja hier überhaupt nicht. Oder ich gehe rein und hab jetzt mal so `n bisschen was vorbereitet, gehe da rein. Also, ich merk sofort, wie die Leute alle so sind und dann fange ich ja an mit meinem Lehrkonzept. Es ist ja darauf angewiesen, eine Beziehung zu realisieren. Es muss ja irgendwie ein Gespräch werden. Und wenn dann da nichts kommt oder wenn nicht das kommt, was ich mir denke, also das merke ich immer bei Suggestivfragen.

Wer hatte das Kino erfunden oder so? Und warten alle, sagen: Er weiß es doch. Also, wieso sollen wir? Und wenn dann genau wie du beschreibst, ich muss dann bei den Antworten, die kommen, sehr flexibel sein und vor allem hören, was die wirklich sagen, damit ich nicht nur das mitkrieg, was ich jetzt haben möchte und dann immer sag, ist so Quatsch, Schmarrn, falsch und so weiter, sondern dass ich aus den Worten die Studierende oft im ersten, zweiten Semester zu den Problemen hin formulieren. Mehr oder weniger ist es ja manchmal so auf 'ner auf 'ner Ebene des sammelnden Stammens, was ich aber als wahrscheinlich improvisier genauso mache. Genau, also hier hat Improvisation, das würde ich bestätigen, das war mein Punkt, sehr viel mit Lehre zu tun. Einfach genau so.

Wer hatte das Kino erfunden oder so? Und warten alle, sagen: Aber Du hast noch ein Beispiel mitgebracht, ja.

LL: Genau. Improvisation ist für mich auch total wichtig, wenn's dann darum geht, Bilder zu erschaffen, denen Studierende folgen können und das ist eigentlich ganz schön, wenn man da so `n bisschen Theatererfahrung hat. Ich könnte ja mal kurz ein Beispiel vorspielen.

LL: Muss einmal ganz konkret an. Dafür erschaffe ich ein Wort im abstrakten Raum [Klang eines Xylophons, aufsteigende Tonfolge] und setze eine kleine, nicht deterministische Kopie von mir selbst auf den ersten Buchstaben unseres Wortes.

LL: [Dialog zwischen zwei verschiedenen „Ludwigs“:]

LL: Hallo.

LL: Ich habe das Wort Rechner gewählt, aber das weiß meine Kopie natürlich nicht.

LL: Hey Ludwig, deine Aufgabe ist es nun, von Buchstaben zu Buchstaben zu springen und dabei mitzuzählen. Kriegst Du das hin?

LL: Okay, das krieg ich hin.

LL: Super. Und dann entscheide dich bitte nicht deterministisch, auf einen Buchstaben anzuhalten.

LL: Wann mache ich das?

LL: Hör einfach auf dein Gefühl.

LL: Der Clou ist jetzt, dass es für jeden Buchstaben einen Ludwig gibt, der sich entscheidet, dort stehen zu bleiben. Manche laufen sogar bis ans Ende. Okay, Ludwig?

LL: Hörst Du mich? Alles gut schaffen. Ja, anscheinend. Merke dir den Buchstaben und die Anzahl der Sprünge, die Du zu ihm gebraucht hast. Jetzt laufe bis ans Ende des Wortes. Wenn Du dort angekommen bist, springe die gleiche Anzahl an Buchstaben in die entgegengesetzte Richtung.

LL: [Hörspiel Ende.]

LL: Also das nur einmal als Beispiel, zu zeigen, wie man wirklich abstrakte und vielleicht auch trockene, was ja viele oft mit langweilig dann erst mal in Verbindung setzen, langweilige Konzepte -

SF: Das stimmt. Mhm.

LL: Mit 'ner Emotionalität verknüpfen kann, sodass sie irgendwie hängen bleiben im Kopf und dass man das auf einmal auch auf sich beziehen kann. Ich glaube, es steht auch 'n großer Wert darin, wenn man Lernende dazu animiert, sich mal in unterschiedliche Rollen reinzuversetzen, um auch das Lerngebiet aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten?

SF: Emotionen, Affekte, Effekte. So `n bisschen den Komplex, den hatte ich mir, also im Vorfeld oder immer wieder frage ich mich, welche Rolle spielen Emotionen, Affekte und Effekte? Wie spielerisch verspielt dürfen leere Einheiten, Lehreinheiten werden? Wie sind deine Erfahrungen daran, darin, damit?

LL: Also, ich hab ich hab ja das große Glück, dass ich oft mit Gleichaltrigen zusammenarbeite oder Schüler und Schülerinnen. Ich bin nebenbei auch noch bei „KI macht Schule“. Das ist noch mal eine ganz andere Form des Lehrens.

SF: Was unterscheidet sich?

LL: „KI macht Schule“ ist ein eigennütziger Verein. Wir gehen an verschiedene Schulen in der Thüringer Region, um die Grundlagen von künstlicher Intelligenz zu vermitteln und warum das wichtig ist. Das ist eigentlich 'n Folien Franchise. Also, die didaktischen Folien werden zentral einmal erstellt. Und wir haben dann quasi 'n Template, das ist für alle Regionen gleich und mit denen gehen wir an die Schule. Wir haben 'n straffes Workshop Konzept und das spielen wir einmal durch.

SF: Mhm.

LL: Genau. Und trotzdem ist ja keine kein Workshop anders, ist kein Workshop gleich. Alle sind anders und es braucht dieses Improvisationstalent da ja auch, obwohl man eigentlich so `n strikten Workshopleitfaden durchgeht.

SF: Wie kommst du damit zurecht, mit 'nem vorgefertigten Strick? Also, genau das. Was ist das für eine Spannung? Scheitern, gelingen. Hast du da auch Scheiternmomente, von denen du erzählen kannst?

LL: Ja, Scheiternmomente.

SF: Wie sieht das aus?

LL: Hab ich auch. Zum Glück nicht so viele. Das liegt auch daran, dass ich mir aussuchen kann, was ich lehren möchte. Ich – entweder, ich nehm nur die Tutorien an, die mich wirklich interessieren.

SF: Ich meine jetzt in Bezug auf diese Folien, das finde ich ja ziemlich interessant. Die Folien zentral erstellt.

LL: Mhm.

SF: Und dann geht ihr damit los und dann gelingt das immer oder wie sind da, das ist natürlich vielleicht im Mikrobereich oder in 'nem kleineren Bereich, da scheitert nicht die ganze Stunde, aber was sind das für Momente, wo du sagst: „Ah, das - hier muss ich's anders machen“?

LL: Ja, wir haben manchmal so, zum Beispiel ganz praktische Einheiten, wo dann die Schüler und Schülerinnen mal selber programmieren müssen mit so `nem Jupiter Notebook und wo's dann keine direkte Anleitung, kein direktes Skript geht. Und auf einmal verlassen wir dann diesen Bereich, wo's vorher 'n sicheres Skript gab.

SF: Ja.

LL: Und dann ist es ganz oft, dass Schüler oder Schülerinnen zu uns kommen und vielleicht gar nicht wissen, was sie machen möchten und wie sie's machen wollen. Und dann ist es oft schwer, das aufzufangen.

SF: Wie fängst du's auf?

LL: Also, manchmal muss man akzeptieren, dass man's nicht auffangen kann.

SF: Ja, absolut.

LL: Das ist wichtig. Anzuerkennen. Und wenn aber Schüler und Schülerinnen wirklich interessiert sind, dann versuche ich oft dieselbe Strategie anzuwenden, die ich auch bei mir anwende, mir Dinge begreiflich zu machen. Also, komplexe Aussagen erstmal in die Atome zerlegen und dann schauen, bei welchem Atom fehlt das Verständnis. Und das funktioniert im Gespräch eigentlich sehr gut. Also, es gibt ja dieses Prinzip der Mäeutik, dass man immer Fragen stellt und durch die Fragen herausfindet, ab welchem Punkt das Verständnis fehlt. Und wenn man das einmal erkannt hat, dann kann man genau diesen einen Punkt auffangen, korrigieren und das ist eigentlich wie 'n Zahnrad, ne. Wenn das einmal repariert ist, dann läuft das Getriebe wieder.

SF: Und die Freude an dem laufenden Getriebe, das ist dann das, was die Schülerinnen und Schüler mitnehmen und empfinden und möglicherweise 'n Schönheitsmoment erleben, indem sie sagen: Ich studiere jetzt auch. Zurück auf das - zurück auf das Spiel, auf diese kleine Szene, die du da in deinem Hörspiel vorbereitet hast. Ich hab jetzt eigentlich vor allem die Story mit den vielen Ludwigs, die auf Buchstaben rumhupfen, mitbekommen.

LL: Mhm.

SF: Das ist aber wahrscheinlich nur 'n kleiner Ausschnitt. Und deswegen hab ich mich gefragt - ich hatte große Freude an dieser Szene und konnte das wunderbar wegskippen, worum's da inhaltlich thematisch ging. Deswegen frag ich, wie viel - wie weit kannst du - was machst du da für Erfahrungen, wenn du szenisch, wenn du so spielerisch mit Lehre umgehst?

LL: Das dehnt den Raum, den es braucht. Wir haben großartige, also, wir haben formal großartige korrekte Folien in - auch in der Lehre, die die ich jetzt selbst erlebe, in unserem Fachbereich. Aber die sind dann so komprimiert und so kompakt, dass sie eigentlich von den Studierenden eine Zeit auch herausfordern, die irgendwann einzurichten in der Woche, um sich wirklich mit dem Stoff zu beschäftigen und sich den Stoff zu eigen zu machen. Da wird viel Selbstständigkeit verlangt. Und so eine Szene, so `n Podcast, der jetzt `nen zusätzliches Element ist zu 'ner Lehrveranstaltung, der ist quasi so `ne kollektive Raumgestaltung, für dieses sich-zu-eigen-Machen, ne? Den können dann alle hören und alle können versuchen, so einem Gedankengang mal beispielhaft zu folgen. Und unter der Annahme, dass jetzt diese Menschen im Gegensatz zu du - zu dir, auch schon mal in die Vorlesung reingeschaut haben und sich überlegt haben: „Was ist denn nicht Determinismus?“ Und: „Komme ich mit der Definition zurecht?“ Und vielleicht auch auf Schwierigkeiten gestoßen sind: „Was meint jetzt nicht Determinismus überhaupt?“ Ich kann mir unter diesem komplexen Wort gar nicht so viel vorstellen, dann ist das eine wunderbare Hilfestellung.

SF: Mhm. Müssen wir in der Lehre damit umgehen, dass es anstrengend ist und Kraft kostet, etwas zu lernen, weil Lernen immer Veränderung des Bestehenden ist? Und müssen wir da so `n bisschen, weiß nicht, ja, ich frag jetzt mal so, das ist jetzt eine Ja/Nein-Frage, aber zu der kann man sich natürlich auch erläuternd verhalten. Müssen wir da - müssen wir da Brücken bauen, Treppen, den Boden bereiten? Also, müssen wir's erleichtern?

LL: Ja. Meiner Meinung nach schon, wenn man gute Lehre machen möchte. Wenn man die Studierenden dabei unterstützen möchte, vielleicht auch den Funken zu finden oder die – das erste Mal zu pumpen. Aber das erfordert Zeit und Arbeit und auch eine Wertschätzung, die vielleicht nicht immer da ist im akademischen Betrieb. Lehre ist ja immer - wird auch als die kleine Schwester der Forschung belächelt. Ich seh's ja selbst, wenn ich in Berufungskommissionen sitze, dann ist die Forschung das Entscheidungskriterium, wenn's dann darum geht, die Bewerber*innen zu ranken und ja, oft haben's dann die Studierenden wirklich schwer, aus den Bewerbungsmaterialien und dem Lehrkonzept abzuleiten, ob die Person jetzt wirklich geeignet ist für die Lehre. Und manchmal bietet selbst der Lehrvertrag keine abschließende Antwort darauf.

SF: Ja, Berufung, Kriterien für Einstellungen und so weiter an Universität, da hat's die Lehre eher schwer. Es ist grad dabei, sich zu verändern. Es gibt jetzt Stiftungen und so weiter, wofür es dann Geld gibt. Da kann man also sagen, Forschung bringt der Uni Geld, Lehre bringt der Uni kein Geld, so war das bisher. Ja. Und das könnte man schon sagen. Da kann man beziffern. Und außerdem hat die Uni Mittel davon und Geld ist ja letztlich Gestaltungsmasse. Das ist die Logik letztlich.

LL: Ist auch toll, es anders wird, ne. In Nordamerika ist das ja schon längst so. Ich hatte ja 'n Auslandssemester dort in Toronto, in Kanada.

SF: Ah, erzähl.

LL: Und dort werden Studierende einfach anders betrachtet. Also, die Uni sieht sich als Care Taker for Adults and Transition, also als verantwortlich für junge Menschen, die erwachsen werden. Und so werden die Studierenden auch behandelt. Die haben ganz andere Supportstrukturen zur Verfügung, ne. Akademische Schreibcenter, Schreibberatung, Karriereberatung. Das haben wir hier auch zu gewissen Teilen, aber da ist es noch mal extremer. Also, dieser individuelle Support, der ist noch mal größer für die Studierenden da.

SF: Also, zum Zeitpunkt, wo dieser Podcast entsteht, haben wir keinen Schreibcenter. Aber wir haben viele Schreibinitiativen. In der Tat, ja. Die könnten wir alle jetzt aufzählen, aber in der Tat. Das ist wirklich hier sehr, sehr viel schreiben. Das könnte man mal, das könnte man stärker profilieren und rausarbeiten.

LL: Aber das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Menschen dort immens hohe Studiengebühren zahlen.

SF: Wollte ich gerade fragen. Also, sozusagen – da ist auch wieder der Faktor Geld mit da drin.

LL: Ja. Wahrscheinlich aber auch eine gewisse Bringschuld, ne. Wenn man jetzt irgendwie studieren so sehr braucht für die Universität, um das Ganze am Laufen zu halten, weil ich mein, wir bekommen ja auch Geld, halt aus anderen Mitteln. Wir werden staatlich vielleicht auch noch mal stärker subventioniert. Dann ist in Nordamerika die Bringschuld gegenüber den Studierenden einfach höher, weil sonst suchen die sich einfach eine bessere Universität mit besserer Lehrer. Also da ist auch einfach 'n Wettbewerbsfaktor drin.

SF: Mhm. Das will ich jetzt hier nicht vertiefen, weil wir die Zeit dafür gar nicht haben. Das geht jetzt in die Richtung Hochschulpolitik und solche Strategien. Ich wollte nur nochmal auf einen Punkt zu sprechen kommen, den du vorher angesprochen hast, als du gesagt hast, das ist dann schon auch anstrengend, diese Erleichterung zu leisten. Magie und Handwerk, zwischen Magie und Handwerk, welche Erlebnisse das der Magie und welche Handwerkserlebnis? Was ist für dich Lehre? Ist es eher Handwerk oder eher Magie oder wann ist wann was? Sind jetzt sehr viele Fragen, das mache ich oft, wurde mir auch gesagt, ich soll das nicht machen, aber ich mach's jetzt trotzdem.

LL: Vielleicht fange ich einfach ganz anders an. Du hast ja schon mehrere Definitionen von Lehre gesagt.

SF: Mhm. Welche jetzt, du meintest?

LL: Ich wollte eigentlich auf eine eigene Definition von Lehrern noch mal ausgehen, weil ich hab mir auch Gedanken gemacht.

SF: Ausgezeichnet.

LL: Und ich liebe ja englische Landschaftsgärten.

SF: Ah!

LL: Es ist ein kleines Guilty Pleasure von mir, deswegen freue ich mich auch, dass ich hier in diesem wunderschönen Ilmpark auch spazieren kann in Weimar. Das ist ein großes Privileg. Und für mich ist eigentlich Lehre das Anlegen eines Landschaftsgartens. Und wir haben nämlich eine Wissenslandschaft, die steht da. Und eine gute Lehrperson weiß eigentlich, wie sie die Wege legen muss, sodass die so attraktiv erscheinen, dass eine Person, die jetzt diese Wissenslandschaft durchschreitet, interessiert ist und eigentlich immer wieder einem neuen Weg folgen möchte. Ab und zu werden Sichtachsen gesetzt, die einfach den gesamten Kontext noch mal aufzeigen, indem mir bestimmtes Wissen dargestellt wird und dann verlässt man vielleicht wieder eine Sichtachse, weil man sich auf ein Detail fokussiert. Dann ist da eine Parkbank zum Verweilen. So, wie man’s vielleicht im Ilmpark kennt. Und so muss gute Lehre eigentlich auch sein, dass man einen Weg anlegt, durch eine Wissenslandschaft. Und dass man die Studierenden ermächtigt mit größtem Interesse und eigentlich auch größtem Vergnügen diese Wissenslandschaft zu durchstreiten. Das ist 'n hoher Anspruch und ich glaub darin steckt dann auch die Magie, weil Landschaftsgärten haben ja dieses ästhetische Moment und Kunst zu schaffen ist, glaube ich, immer eine Form der Magie. Das lässt sich nicht vorhersehen. Ich kann nicht - ich kann nicht, bevor ich quasi vor meinem Kunstwerk sitze, festlegen, wie das aussehen soll, welche Gestalt das haben soll, sondern da kommt so viel von mir selber auch hoch. Und so viel von meinem Inneren spiegelt sich wider, dass ich vorher - dem ich vorher einfach nicht bewusst war. Und ich glaub, das ist dieser magische Moment. Und Handwerk liegt dann ganz klar darin, zu wissen, wann ich eine Sichtachse mal einbauen muss und wann sich 'n Pfad mal spalten muss. Und das ist auch nicht einfach. Also, es sind zwei hohe Künste, die sich irgendwie vereinen müssen.

SF: Landschaftsgarten, Kunst, alles ist Metaphern der Lehre. Ich bin da völlig bei dir, also ich erlebe Lehre auch so. Das ist 'n Gestaltungsprozess, der dann erlebt wird oder mit dem Ziel, oft mit dem Ziel, dass man dann die Lehrstunde, das ganze Seminar, egal welches Format, also das geht auch mit der Vorlesung und so weiter und so weiter. Wenn es gelingt, wenn es gelingende Lehre ist, dann wird sie empfunden wie ein Garten, der Interesse erzeugt, oder? Also so `n bisschen verstehe ich das jetzt.

LL: Ja.

SF: Im Hintergrund wird gegraben, angepflanzt, gewühlt gemacht, geschnitten und so und so. Und wie zufällig, wie von selbst ergibt sich ein Thema nach dem anderen dann im Verlauf der Lehre. So `n bisschen?

LL: Und im Gegensatz zu Landschaftsgärten, die ja künstlich angelegt sind und die die Landschaft über Jahrhunderte eigentlich in eine feste Form zwingen, kann Lehre kein fester Garten, kein fester Park sein, sondern er muss eigentlich jedes Jahr neu angelegt werden, weil sich die Wissenslandschaft ja verändert und das können wir eben nicht kontrollieren.

SF: Das gilt für die Parks im Übrigen natürlich auch. Die sind klimatischen Veränderungen unterworfen. Die Bäume, die wir jetzt hier sehen, die hat Anna Amalia und Goethe nie gesehen. Die waren ja damals entweder ganz klein oder noch gar nicht da und so weiter und so weiter. Insofern stimmt's. Aber, das ist völlig richtig, sind zwei unterschiedliche Bildungsideale. Die einen sagen, bewahren, die Gestalt bewahren durch Ersetzung des Immergleichen, aber so, dass die Struktur erhalten bleibt und die anderen sagen, wir müssen diesen Garten permanent - und es gibt ja Gartenkonzepte, die das machen, Kleingärtner und so weiter machen das auch ständig, die Beete und anders - und hier noch 'n Baum - und dann wieder weg und dann stattdessen Rosen und dann wird hier - Wenn man sich oben den, im Bellvedere, da haben die so `n schönen Teil mit Beeten, die werden alle Monate ausgewechselt. Also, da werden dauern neue Beete hingepflanzt. Ich wollte aber noch was anderes sagen. Was passiert mit diesen Leuten, die die durch diesen herrlichen Garten laufen und sie denken, das was - das sei die Welt. So sei die Welt, weil das ja alles aussieht, als wäre es Natur. Das Handwerk ist ja nicht wirklich spürbar. Was passiert ihnen, was passiert den Leuten, die aus einem Landschaftsgarten in die Wildnis geraten?

LL: Ja, ich hoffe, die die haben auf jeden Fall 'n paar Fähigkeiten aus dem Garten mitgenommen, um den selbst zu ihren eigenen Garten umzubauen.

SF: Wie gewinnen Leute aus dem goethischen Landschaftspark die Fähigkeit, durch Wildnis zu bahnen?

LL: Ah, ich glaub, es braucht eine sehr gute Beobachtungsgabe dafür, dass man versteht, wie die Gestaltung in so einem Park funktioniert und das ist, glaube ich, auch 'n Anspruch, der immer wieder neu formuliert wird, auch in letzter Zeit für unsere Lehre, dass Studierende nicht nur qualifiziert werden müssen zu lernen, ne, das streiten wir alle nicht ab, das muss so sein, das ist 'n Fakt. Aber - dass wir Studierende auch qualifizieren müssen zu lehren. Ich glaub, das ist noch mal ein anderer Punkt, dass Studierende in die Lage versetzt werden müssen, das Wissen, die Konzepte, die sie sich selbst aneignen, auch anderen Menschen beizubringen. Ich glaub, Lehre darf nichts Privilegiertes sein, sondern das ist eigentlich etwas, das allen Menschen als Grundfähigkeit zu eigen sein müsste, vermittelt werden müsste.

SF: Damit sie's nicht sagen, ich hau dir gleich in die Fresse, wenn du jetzt nicht endlich das machst, was ich zu dir sage. Sondern damit sie sagen, ich, das, was ich für richtig halte, kann ich die auf die oder die oder die Art leben, vermitteln und weitergeben, sodass andere Menschen das entweder nehmen können oder neben mir leben können und mit diesen verschiedenen Konzepten man dann zu einer Gemeinschaft kommt. Ist das so ´n bisschen die Idee von - die realisierte Form des Friedens ist, wenn alle lehren.

LL: Das wär schön!

SF: Und alle sind in der Lage, sich zuzuhören Aber sie haben miteinander zu lernen und einander zu lehren oder so was?

LL: Aber Simon, wir kennen's ja selbst aus dem Ilm Park, wie es dann ist, wenn man mal die betretenen, also wenn man mal die die getretenen Pfade verlässt. Und auf die Wiese geht. Man erregt ja schon gleich mal Unmut derjenigen, die den Garten angelegt haben. Und so ist es in der Lehre, habe ich das Gefühl, auch, ne? Wenn man dann mal was Neues probiert und experimentiert, ist oft erst mal eine große Skepsis und ein großer Zweifel da und es wird gefragt, ist es das Risiko überhaupt wert, ne? Wir haben ja jetzt schon die Wege angelegt, die gegangen werden. Ist es denn da wirklich richtig, jetzt da junge Leute auf die Wiese zu lassen und dann solche Trampelpfade anzuwägen. Lohnt sich das?

SF: Finde ich sehr, sehr schön, also so, dass man quasi 'n zweites Feld macht, auf dem sich dann noch die - das dann Wildnis heißt oder so was, das die ganze Zeit umgebaut wird, wo man dann kreuz und quer rauf und runter und so weiter. Eine Sache, die mich noch interessiert, ist: das eine ist also das Empfangen, das hat 'n bisschen was, sich in dem Garten zu… das, eigentlich kann man das sogar weitermachen, von dem Garten her. Wie, also wir lernen lernen, hast Du gesagt, aber was mich immer wieder interessiert, ist, wie gewinnt man die Fähigkeit, Interesse zu entwickeln?

LL: Das ist eine großartige Frage. Ich wünschte, ich hätte auch eine Antwort darauf, weil dann könnte ich, glaube ich, morgen die KI schreiben, die die Lehre automatisiert.

SF: Ah, meinst Du?

LL: Mhm. Aber da ist eine, ich glaub, da steckt noch 'n großes Geheimnis dahinter. Es gibt son paar Grundrezepte, ne. Also, mit Emotionalität kann ich Interesse wecken. Wenn ich Menschen durch einen Rollenwechsel vielleicht zeige, dass sie das Thema etwas angeht, dann kann ich auch Interesse damit wecken. Aber ich glaube, jede Landschaft erfordert ihre eigenen Methoden in der Gestaltung.

SF: Ah, okay, nee, ich meinte, Interesse entwickeln. Also, Autorschaft, die Gründung von Autorschaft ist es dann also letztlich. Ich in der Welt bin in der Lage, Interesse für Dinge zu entwickeln, die mich umgeben. Das heißt, ich gehe nicht mehr nur, tut mir gut, gefällt mir, schmeckt mir, schmeckt mir nicht, sondern ich interessiere mich für Dinge, von denen ich vielleicht - die mich erst mal nicht interessieren. Wie kann ich Interesse entwickeln? Wie kann ich erlernen, Interesse zu entwickeln? Und reicht da der Park noch, das frage ich mich eben, oder muss man da nicht eben, kommt man die Anstrengung wirklich rum?

LL: Tja.

SF: Um die Mühe.

LL: Also, für mich kommt Interesse auch immer so aus 'ner ästhetischen Perspektive heraus, weil wenn ich merke, dass etwas in mir so dieses Gefühl der Schönheit erregt, dann interessiere ich mich auch dafür. Dann möchte ich das irgendwie in meinen Kosmos aufnehmen und mit dem verbinden, was ich schon habe. Vielleicht, weil ich dann das Gefühl hab, so 'ner 'nem Stück 'ner universellen Wahrheit auch näherzukommen. Ich glaub, da ist immer 'n großes Bedürfnis nach Neugierde. Aber vielleicht hast du ja auch noch mal eine Vermutung, wie schafft man es, das Interesse zu wecken?

SF: Ja, Ich hab Erfahrung auch damit schon gemacht. Also nicht, wie man es schafft, aber aber so `ne Ahnung davon und 'n paar – Also, die Konzepte, die Du grade aufgerufen hast, finde ich - gehe ich total mit dir überein, finde ich übrigens total interessant. Wirklich Schönheit, das ist natürlich 'n eigener Schönheitsbegriff, der hat mit Gefälligkeit und Dekoration gar nichts zu tun. Ja. Also Schönheit, wo 'n inneres Ja entsteht. Also, wo man dazu, man sieht was, man erlebt was, man hat gar keine Bewertungskriterien, sondern sagt einfach: „Ja! Stimmt! Das ist wahr.“ Du hast es auch Wahrheit genannt und Kosmos. Also, es – irgendwie, es stiftet einen Ort im Kosmos, an dem man sagt, das darf sein. Hier, hier bin ich Mensch, hier kann ich sein, hier bin ich - oder was anderes. Also, das ist eine Stätte, also, da findet was statt. Und ich finde statt. Also, irgendwie, ich finde eine Städte, ich finde einen Ort. Es muss irgendwas mit Gründung zu tun haben. Das passt, also kann ich total viel damit anfangen. Ich habe, kann daran anschließen, ich hab in der, ich hab das selbst erlebt und dann in die in die Lehre übertragen. Das muss ich jetzt fast schon sagen, ja, fünf Minuten, glaube ich, haben wir noch etwa. Das war eine Situation, wo ich in einem Zeichenkurs, das war in so `ner Sommerschule, da ist der Zeichenlehrer, hat uns gesagt, also es war die erste Stunde, 'n Aktzeichenkurs. Wir sollen uns so Blätter nehmen, Zweige sammeln und dann die zeichnen. Und dann haben wir die genommen und sollten mit Tusche so zeichnen.

SF: Kam irgendjemand, hat ihn was gefragt, dann ist er raus. Und dann hab ich diese Blätter gezeichnet und hab irgendwann keine Lust mehr gehabt und hat mich nicht mehr interessiert. Nun hat er da wohl mehr zu tun gehabt, andere haben aufgehört, haben angefangen zu quatschen und so und so. Mir war der Kurs zu teuer, um mich zu unterhalten. Das war 'n bisschen so. Und dann hab ich weiter gezeichnet und gezeichnet und die Dauer der Beschäftigung mit dem Zeichnen. Am Ende habe ich gedacht, warum machen wir nicht 'n Blätterzeichenkurs?

Dieser Akt, der interessiert mich jetzt gar nicht mehr. Ich mache jetzt - Es hat mich plötzlich so interessiert. Ich glaube, dass das zusammengehört. Ich hab das dann später gemacht mit Leuten, zeichnet, sammelt was. Genauso hab ich das gemacht. Und jetzt: „Zwanzig Minuten zeichnen.“ Und die Leute: „Wie lang noch?“ Und so. Nee, da-

LL: Du warst im Flow.

SF: Und nee, ich glaube, ich würd's noch mal anders beschreiben. Als - es ist wie 'n Sammeln und dieses Sammeln stellt irgendwie einen Ort her. Und ich glaub, der Ort, an dem ich dann bin, der ist dann irgendwann auch einer, der… an dem dann irgendwie was statt. Dieses Sammeln sammelt irgendwie Kräfte und auf einmal können diese Kräfte sich bewegen, so könnte ich's beschreiben. Und ich glaube, und es war immer meine Erfahrung, eine verrostete Schraube, 'n Schneckenhaus, 'n blödes Stück Papier, was die Leute - die Erfahrung war im Feedback dann ganz oft, dass die sagen: „Ich wusste gar nicht, wie interessant 'n Schneckenhaus ist.“ Und da habe ich gedacht, so entwickelt man Interesse im Grunde durch Dauer des Wahrnehmehmens, durch eine Art der Dauer.

LL: Durch die Intensität.

SF: Die, aus der dann Intensität. Ja. Noch mal, noch mal, noch mal zwanzig Minuten so und so und so. Da kann Interesse entstehen. Das heißt, weitermachen, weitermachen, weitermachen, weitermachen - Jetzt ist interessant.

LL: Das ist spannend. Ich, auf der anderen Seite, glaube ich, auch Interesse ist etwas, das das du selber auch kultivieren musst. Ja. Und ich kenn's ja, ich bin nicht nur eine Lehrperson, sondern ich bin ja jetzt in erster Linie auch eine Lernperson, weil ich meine Studieninhalte aufnehmen muss und ich lieb's auch Lernmethoden zu entwickeln. Also, was ich da schon alles durchgegangen hab, also das könnte noch mal Bände füllen. Und aber seit einigen Jahren arbeite ich an meiner eigenen persönlichen Wissensdatenbank, wo wirklich aus allen Lebensinhalten, ne, nicht nur irgendwie dem Studium, sondern überall, wo ich Notizen machen möchte, mich was interessiert, begeistert, eine Notiz anlege und sie mit den bereits bestehenden Notizen verknüpfe. 'N Zettelkasten quasi, aber halt digital.

SF: Ja.

LL: Und und ich merke auch, je mehr das wächst, umso mehr profitiert meine Wissensdatenbank auch von dem Netzwerkeffekt. Also, je größer die Anschlussfähigkeit da ist, von `nem Gegenstand, umso größer ist dann auch das Interesse. Und oft bin ich mir 'ner Anschlussfähigkeit gar nicht bewusst, hätte ich nicht diese Wissensdatenbank.

SF: Das ist 'n ganz, ganz schönes Bild. Weil du die Anschlüsse, also je mehr Daten du hast - als hätte jedes dieser Daten Anschlüsse und dann kriegst du natürlich immer mehr Anschlüsse. Das ist 'n unglaubliches Setting an Anschlüssen. Und Interesse ist vielleicht ja genau dieses Zwischensein zwischen der Welt und zwischen dir, wo du Anschlüsse schaffen kannst. Und je vielfältiger deine Anschlussmöglichkeiten werden, umso größer - und umso schneller geht es natürlich auch. Irgendwie, du nimmst 'n Schneckenhaus und irgendwann weiß man's dann. Geht vielleicht das noch? Ich mein, wir müssen ja nicht so pünktlich sein, auch in der Lehre überziehen wir manchmal. Schließt sich das auch wieder? Gibt's das, dass man so viel lernt, dass man sagt, jetzt hab ich mich verlernt.

LL: Also es gibt auf jeden Fall das Bulimie-Lernen, das wir ganz gut vor den Prüfungen kennen im Studium. Ich kenn's selber, dass ich wirklich Kurse habe, da lerne ich wirklich noch mal intensiv eine Woche vor der Prüfung und jetzt ein Jahr, anderthalb Jahre später frage ich mich, was hab ich überhaupt in dem Kurs gemacht? Und das ist so `n Effekt, dass ich glaube, das passiert, wenn ich lerne und dabei aber mit meinem Kopf und mit meiner Konzeption immer in dem Gebiet bleibe, das mir vorgegeben wird. Weil sobald ich das Gebiet einmal abgeschlossen hab mit 'ner Prüfungsnote, dann ist das versiegelt und in meinem Unterbewusstsein verschwunden.

SF: Und was passiert dann?

LL: Und dann ist es für mich erst mal vielleicht nicht mehr aufrufbar nach einigen Jahren. Ich kann ich kann das Wissen nicht nutzen und es kommt viel seltener vor, dass ich diese Anschlüsse finde, von denen ich vorhin gesprochen hab. Also, die Kunst des Lernens für mich im Studium besteht auch immer darin, das Gelernte aus den Fächern zu verknüpfen mit dem, was mich im Leben sonst so umgibt. Weil damit stelle ich sicher, dass ich den Lernstoff auch für mich behalten kann und dass der eine Relevanz für mich bekommt, weil ich möchte am Ende nicht hier im Unterricht sitzen, um dann am Ende irgendwie eine Note zu bekommen und das steht dann am Ende auf `nem Zeugnis und das ist alles ganz toll. Und aber extrinsische Faktoren, dass Menschen eine Note von mir ahben wollen, um mich einzustellen - das geht mich aber als Mensch jetzt nichts an. Ich hab ja eine intrinsische Motivation und möchte, dass die Zeit, die ich quasi investiere in mein Studium, auch für mich darin rentiert, dass das, was ich lerne, was für mich bedeutet.

SF: Du führst dem Gelernten Kräfte aus anderen Erfahrungen zu, sodass das Gelernte und die Erfahrungen, die du als Mensch machst, zu dem, der du bist, verbindet.

LL: Ja, na ja, wir sprechen ja oft über Nachhaltigkeit und über Verschwendung, gerade jetzt in unserer Zeit. Und ich könnte mir irgendwie nichts Verschwenderisches vorstellen, als in 'einem Studium zu sitzen und viele Inhalte zu lernen und dann am Ende zu realisieren: Das geht mich gar nicht so viel an, was ich hier gelernt habe.

SF: Okay, und vielleicht das noch jetzt so zum Schluss als - damit wir nicht total überziehen, aus diesem ganzen Bulimie-Lernen, nimmst du da nicht doch eine Lernerfahrung mit oder nimmst du da nicht einfach doch eine Erfahrung auch mit?

LL: Ja, eine Meta-Lernerfahrung natürlich.

SF: Was heißt das?

LL: Die mir sagt, wie meine Methoden funktionieren und ob ich sie anpassen muss.

SF: Aha.

LL: Ne, also, wenn ich nach dem Bulimie-Lernen merke, das hat mir jetzt persönlich aber nicht viel gebracht oder es hat mich nicht weitergebracht, dann ist es erst mal den eher 'ne Erfahrung, dass die Methode nicht funktioniert. Muss ich die Methode anpassen?

SF: Ja, interessant. Sehr schön. Ich danke dir sehr! Tolles Gespräch.

LL: Ich danke dir für die Einladung. Toi, toi, toi für die nächsten Gespräche.

SF: Vielen Dank.

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