Ep. 29 – Gespräch mit Björn Dahlem
Shownotes
Was ist ein Werk? Was ist eine Behauptung? Und wie lehrt man Kunst, wenn diese frei von Funktion, aber nicht von Wirkung ist? In dieser Episode spricht Simon Frisch mit Björn Dahlem über künstlerische Praxis, individuelle Positionierung und das Lehren jenseits klassischer Methoden. Der Professor für Skulptur und Objektinstallation an der Fakultät Kunst und Gestaltung beschreibt, warum Lehre in der freien Kunst vor allem ein Dialog ist – einer, der in der Klasse beginnt, aber nicht in der Klasse endet. Statt konkreter Vorgaben stehen persönliche Interessen, Referenzsysteme und das Herausbilden einer Autorschaft im Zentrum. Dahlem erzählt von familiären Arbeitsatmosphären, von Werkstätten als Möglichkeitsräume und von der Kunst, sich situativ in Ideen, Prozesse und Persönlichkeiten hineinzudenken. Und er erklärt, warum die wichtigste Frage manchmal einfach lautet: „Was funktioniert – für dich?“
Unser Host: Dr. Simon Frisch ist Vizepräsident für Lehre und Lernen an der Bauhaus-Universität Weimar und er leitet die Dozentur für Film- und Medienwissenschaft. Er interessiert sich besonders für die spezifische Praxis der Theorie und für die ostasiatischen Wegkünste sowie die Spaziergangswissenschaft als Perspektive und Methode in Lehre und Forschung.
Mitwirkende: Host: Simon Frisch Sound-Design und Schnitt: Jonas Rieger, Moritz Wehrmann Musik: Sebastian Lederle Artwork: Andreas Wolter Ton und Technik: Steven Mehlhorn, Moritz Wehrmann Marketing und Social Media: Claudia Weinreich, Marit Haferkamp Juristische Beratung: Laura Kister Transkript: Natalie Röhniß Produzentin: Nicole Baron Distribution: Ulfried Hermann, Jonas Rieger
Folgenwebsite: www.uni-weimar.de/lehre-podcast
https://www.uni-weimar.de/de/kunst-und-gestaltung/professuren/freie-kunst-prof-bjoern-dahlem/
Transkript anzeigen
Björn Dahlem
Simon Frisch
Das Mikrofon ist aufgegangen und zwei Stimmen treten auf. Die eine Stimme gehört zu Simon Frisch, die spricht gerade, es jetzt zu hören. Ich spreche hier als Vizepräsident für Lehre und Lernen und als Inhaber der Dozentur für Film und Medienwissenschaft und insbesondere als Person, die sich sehr für Lehre und Lernen zwischen Magie und Handwerk, wie der Podcast ja auch heißt, interessiert. Und ich freue mich sehr auf das Gespräch, das wir gleich führen werden. Björn, du bist heute als wer bist du denn gekommen?
Björn Dahlem
Eine sehr, sehr gute Frage. Also eine Frage, die ich mir regelmäßig stelle, wenn ich in diese Universität komme. Ich bin wahrscheinlich nicht nur als eine Person gekommen, sondern als Person in mehreren Funktionen, auf mehreren Ebenen. Hauptsächlich würde ich mich immer als Künstler bezeichnen. Als solcher bin ich auch hier in der Lehre tätig und habe die Professur für Skulptur Objektinstallation in der Fakultät Kunst und Gestaltung inne. Die gehört zum Studiengang Freie Kunst. Darüber hinaus bin ich aber eben auch als Künstler hier und ich bin als Teil der Dekanatsleitung, als Studiendekan heute hier anwesend und bin sehr gespannt auf unser Gespräch.
Simon Frisch
Ja, ich auch. Ganz fantastisch, dass du da bist als Künstler und als Teil der Studiengestaltung. Wie bringst du diese beiden Rollen hier an diesem Mikrofon zusammen?
Björn Dahlem
Ja, das ist nicht immer so einfach, also sei es am Mikrofon oder anderswo. Kunst und Lehre ist ein kniffliges Thema. Ich war immer jemand, der gesagt hat, dass es eigentlich eine Lehre im eigentlichen Sinne in der Kunst gar nicht gibt und nicht geben kann, weil Kunst frei von Funktion ist. Also vielleicht gibt es auch Kunst, die auf eine Art funktioniert, aber natürlich ist Funktion nicht Kernelement der Kunst. Insofern gibt es auch keine Methodik und das bedeutet auch, dass es keine allgemeinen Lehrprinzipien geben kann aus meiner Sicht, sondern dass die immer situativ und in Bezug auf die Studierenden spontan und in Echtzeit entsteht in der Lehre, in der Lehrveranstaltung.
Simon Frisch
Frei von Funktion ist Kunst. Das finde ich einen interessanten Satz. Kannst du da noch ein paar Worte dazu sagen?
Björn Dahlem
Ja, also wenn wir jetzt irgendwie einen anderen Beruf nehmen, den Beruf des Bäckers z.B. würde ich sagen, hat der Bäcker eine klare Funktion, zumindest wenn man es jetzt traditionell betrachtet. Es gibt bestimmt auch Bäcker als Ausnahmefälle, die vielleicht anders vorgehen. Aber da würde ich doch sagen, dass die Aufgabe eines Bäckers ist, Brot und Gebäck zu produzieren. Und das sollte wenn möglich, auch den Kunden schmecken. Dafür gibt es, glaube ich, auch allgemeingültigere Vorgehensweisen. Die man jetzt nicht so einfach auf die Kunst übertragen könnte.
Oder ein Ingenieur, der ein Auto designt, ist für Sicherheit zuständig, ist dafür zuständig, dass es günstigen Verbrauch hat. Es gibt handfeste Kriterien, die es so in der Kunst nur sehr, sehr wenig, wenn überhaupt, gibt.
Simon Frisch
Ah ja, das finde ich interessant, sodass also Funktion und Wirkung man da unterscheiden muss. Kunst hat durchaus eine Wirkung, aber nicht unbedingt eine Funktion, die man bestimmen kann.
Björn Dahlem
Genau, das liegt daran, das wäre jetzt eine interessante Frage, aber die übersteigt vielleicht auch meine Qualifikation, irgendwie festzustellen, ob es vielleicht, es gibt vielleicht so was wie eine versteckte Funktion in der Kunst, die ist aber nicht klar zu identifizieren, weil sie eben diese Wirkung ist, die du genannt hast. Und natürlich ist Kunst wirksam, wirksam als kulturelles, als kulturelle Praxis, um es mal ganz allgemein zu sagen. Und da ist unbestritten, dass Kunst in allen ihren Formen, also ich spreche jetzt nicht nur von bildender Kunst, sondern da gehört natürlich genauso Film, Literatur, Theater, Musik dazu, dass die kulturell eine absolute Wirksamkeit hat.
Simon Frisch
Und das finde ich jetzt tatsächlich interessant, weil das in Hinsicht auf die Lehre dann noch mal interessanter werden kann, wenn man es weiterdenkt, sodass die Wirksamkeit ist auf jeden Fall gegeben, wenn es Kunst ist. So könnte man es ja auch sagen. So könnte man es jetzt erstmal hinstellen, aber man kann die Funktion nicht bestimmen. Und vorhin hast du von Kriterien gesprochen. Also es gibt keine vorgängige Kriterienbildung in Hinsicht auf das, was man da herstellt.
Könnte man das?
Björn Dahlem
Ja, ich würde sagen, Kunst ist immer letztendlich die Behauptung von etwas.
Simon Frisch
Ja.
Björn Dahlem
Und wenn diese Behauptung eine Wirksamkeit entwickelt, dann ist es Kunst.
Simon Frisch
Ja, schön. Genau. Und wie lehrt man das?
Björn Dahlem
Sehr, sehr gute Frage, die, wenn man es so abstrakt fragt, extrem komplex ist. In der Praxis kann man sie schon eher greifen. Und das ist so, dass wir eigentlich nach der Einführungswoche und nach so einer Ankommenphase im ersten Semester von vielleicht zwei Wochen, so über den Daumen gesehen, schon damit beginnen, dass wir unsere Studierenden dazu anleiten, sich in diesem System Kunst in irgendeiner Form zu positionieren und zu verorten. Das bedeutet, dass eigentlich fast vom ersten Tag an die Studierenden sich konzentrieren auf ihre eigenen Interessen, sich konzentrieren auf ihre eigenen Fähigkeiten, natürlich darauf konzentrieren, ihre Fähigkeiten zu erweitern und auch ihre Interessen, ihren Fokus zu erweitern. Und das ist ein ganz, ganz individueller Vorgang. Also die Lehre startet so, dass wir die Bewerbungsmappen häufig als Grundlage nehmen, um ins Gespräch zu gehen. Anhand dessen lassen sich bestimmte Motive, bestimmte Techniken, bestimmte Medien ja ganz klar rauslesen, wo zu zunächst mal das Interesse der Studierenden liegt.
Und von da aus versuchen wir im Sinne der Studierenden eigentlich wie so wie ein Guide auf einer Wanderung vielleicht so ein bisschen, obwohl so weit greifen wir vielleicht gar nicht ein, weil die Strecke auch durch die Studierenden selber bestimmt wird, aber dass wir diesen Vorgang begleiten, dass die tiefer in die Materie reinkommen.
Simon Frisch
Ja, das wäre jetzt meine Frage. Haben sie denn eigene Interessen? Wie nimmst du das wahr in deiner Erfahrung, wenn sie da nach den zwei Wochen in den Unterricht treten?
Björn Dahlem
Also ihr eigenes Interesse, das hat sich ja schon anhand der Bewerbungen manifestiert. Also Leute, bei denen wir nicht erkennen können, dass es irgendwie ein intrinsisches Motiv gibt für ein Kunststudium, dass es da eine intensivere Beschäftigung vielleicht mit bestimmten Thematiken, Motiven oder auch Techniken und Medien gibt, die würden für uns gar nicht die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Insofern haben wir Leute, bei denen wir schon auf jeden Fall zumindest schwerpunktmäßig so Interessen identifizieren können.
Simon Frisch
Es gibt ja oft Leute, die können gut zeichnen, sag ich jetzt mal, das ist ja vielleicht immer noch gängig. Und dann hören sie in ihrer Schule die ganze Zeit du solltest unbedingt Kunst studieren, du kannst gut zeichnen. Und dann laufen sie mit dem Anspruch, gut zeichnen zu können, zu einer Mappenberatung, stellen eine Mappe her oder auch ohne Mappenberatung und kommen dann zu euch zur Aufnahmeprüfung. Ist das ein Kriterium? Erlebst du so was oft, dieses ich kann gut zeichnen, drum will ich Künstler werden?
Wie schätzt du sowas ein?
Björn Dahlem
Ja, also solche Fälle gibt es und das kann, also gut zeichnen zu können ist für jemanden, der Kunst machen möchte, schon mal auf gar keinen Fall eine schlechte Bedingung. Gut zeichnen zu können ist eine große Gabe und die ist wichtig. Aber im Umkehrschluss bedeutet die nicht, dass automatisch das Kunststudium für jemand, der gut zeichnen kann, das richtige ist. Vielleicht wäre so jemand auch sehr gut aufgehoben in der visuellen Kommunikation, vielleicht auch im Produktdesign, in der Medienkunst, was bei der freien Kunst, wie es ja hier so etwas paradox heißt, denn ich würde sagen, dass Kunst immer frei ist und man sich diesen Zusatz eigentlich sparen könnte. Da ist es eben wichtig, eine intrinsische Motivation, das wirklich zu vertiefen, da tief in Thematiken reinzugehen, das ist obligatorisch, um für den Studiengang überhaupt geeignet zu sein.
Simon Frisch
Das ist interessant mit dieser intrinsischen Motivation, weil ich jetzt gerade vor kurzem ein Erlebnis hatte, wo ich bei der Beurteilung von Abschlussarbeiten im Bereich der Lithographie dabei war. Und da gab es eine Arbeit, da gab es eben diese das war zu sehen, die Person konnte gut zeichnen. Und tatsächlich haben wir im Gespräch über die Arbeit, über das Ergebnis der Arbeit, die intrinsische Motivation, mit dem Stein zu arbeiten, nicht erkennen können. Sodass also quasi eigentlich hat sich die Arbeit hinter dem Gutzeichnen versteckt und hat sich nicht darauf eingelassen, Interesse am Stein zu entwickeln.
Wäre das so? Wie findet man solche Kriterien?
Björn Dahlem
Ja, das, ich weiß gar nicht, ob man das jetzt so explizit als Beispiel nutzen kann. Ich würde jetzt von außen sagen, vielleicht war das einfach Lithographie, nicht das Medium jetzt von der entsprechenden Person. Vielleicht wäre die in einem anderen Medium besser aufgehoben gewesen. Video, Performance, Skulptur, was auch immer. Das muss man ja auch irgendwie sorgfältig herausfinden. Aber das kann man eigentlich an diesem Initialpunkt der Mappe immer so ein bisschen als Tendenz ausmachen, in welche Richtung das geht. Man sieht an einer bestimmten Form von Zeichnung auch, geht sie eher um Komposition in einem Bildraum oder sind es vielleicht Objekte, die da gezeichnet werden, die sich von der Zeichnung dann in den Raum hinein als physisches Objekt oder als Installation oder Skulptur weiterentwickeln könnten.
Sowas kann man eigentlich mit einer gewissen Erfahrung ziemlich gut rauslesen aus so Zeichnungen und dann eben dazu ermuntern, zu sagen, hey, das ist doch, was du hier gezeichnet hast, das ist doch eigentlich ein Objekt, das ist doch hier im Raum. Kannst du dir vorstellen, sowas auch mal physisch in den Raum zu bringen? Und das könnte so ein erster Weg sein, dass die Leute dann versuchen, sich da auszuprobieren. Und genauso funktioniert es natürlich nicht nur, jetzt habe ich selber lustigerweise das Wort Funktion benutzt, im umgangssprachlichen Sinne, würde es nicht auch, also es würde auch genauso analog für Thematiken funktionieren.
Simon Frisch
Das ist wirklich jetzt schön, weil das ja auch valide ist, an der Stelle von funktionieren zu sprechen. Das ist ja ein Prozess, in dem man eben herausfindet, was funktioniert und was nicht funktioniert, was für einen funktioniert oder nicht funktioniert. Und ich glaube, danach habe ich vorhin auch gefragt, als ich nach Interesse gefragt habe. Also so, dass man, ich glaube, das Interesse ist schon, das könnte man vielleicht so ausformulieren, dass man rausfinden will, was funktioniert und was funktioniert nicht und was funktioniert, wenn ich das mache oder wenn ich das mache. Und auf einmal, sodass man eben sagen könnte, na, vielleicht ist Steindruck an der Stelle etwas, was mit dir nicht so funktioniert oder noch nicht oder es interessiert dich noch nicht gut genug, aber du hast ein Interesse hier, was du in dem zeichnerischen Können noch hältst, formuliere das doch mal weiter oder mach doch bei dem zeichnerischen Können so lange weiter, bis es irgendwie ein Gewicht bekommt oder eine Gravität.
Björn Dahlem
Genau, also das kann in die verschiedenen Ebenen gehen von Medium, Technik und Inhalt und ist da in alle Richtungen eben zu allen Zeitpunkten erweiterbar, ausbaubar, vertiefbar. Also das ist ja auch die der Beruf des freien Künstlers ist ja eben eigentlich ein Leben lang in eine Thematik, in technische Form, mediale Formen tief einzusteigen.
Simon Frisch
Was ist der Inhalt? Du hast gerade von Inhalt gesprochen und das wird ja oft in der Kunst vom Inhalt gesprochen. Tatsächlich, das ist eine echte Frage, wie stelle ich mir Inhalt in der Kunst vor?
Björn Dahlem
Das ist eine extrem wichtige Frage, also sehr gute Frage. Also Inhalt kann alles sein aus meiner Sicht, aber das Wichtige ist, dass er an die Persönlichkeit gekoppelt ist. Also ich glaube, es macht überhaupt keinen Sinn sozusagen, also man könnte ja strategisch vorgehen und sich dieses Betriebssystem Kunst, den Kunstmarkt, den Betrieb der Institutionen, sich das alles anzugucken und dann zu aha, hier habe ich sozusagen eine Marktlücke identifiziert, ich spezialisiere mich jetzt da und dahin. Wenn es nicht an die Persönlichkeit wirklich andockt, an die eigene Biografie andockt, an die eigenen Begabungen, Neigungen, Fähigkeiten andockt, dann wird es nie eine Durchschlagskraft entwickeln, weil also da bin ich fest davon überzeugt, in der Kunst eine Aussage nur dann wirkliche Wucht oder wirkliches Gewicht entfalten kann, wenn man das voll und ganz vertreten kann. Und das kann man nicht, wenn das irgendwie herbeikonstruiert ist, sondern es ist wirklich was, was, das klingt jetzt leicht esoterisch, meine ich, aber überhaupt nicht esoterisch, was aus dem eigenen Bewusstsein heraus wächst, organisch wächst. Also es ist kein Zusammenkonstruieren. Man kann nicht irgendwie vier Trendthemen clever zusammensetzen und ist dann damit irgendwie automatisch ganz weit vorne.
Das funktioniert meistens nicht. Es funktioniert vielleicht in dem Fall, wenn Leute sich dann ganz persönlich sehr stark für strategisches Vorgehen vielleicht interessieren und dann vielleicht der Inhalt nur dieses Interesse befüllt. So könnte ich es mir vorstellen. Aber das sozusagen herbeizukonstruieren, ist aus meiner Sicht nicht möglich. Und da sind wir dann wieder beim Ausgangspunkt, dass eben eine pauschale Lehre in der Kunst nicht möglich ist, denn die könnte ja sozusagen, würde immer auf dieses Prinzip der Konstruktion aufbauen und die Konstruktion funktioniert in dem Bereich nicht.
Simon Frisch
Das ist das ja, oder ich verstehe es so, das ist das, was du vorhin Behauptung genannt hast. Also diese Behauptung, also etwas zu behaupten, wäre dann der Gestus vielleicht auch, den du gerade beschrieben hast. Finde ich interessant gerade, dass also die Strategie im Kunstmarkt zu funktionieren, als Interesse wieder zu einer Behauptung werden kann, die dann wieder eine Kraft entwickelt, wo man doch das kriegt Werkcharakter.
Spielt der Werkbegriff eine Rolle in der Kunst für dich?
Björn Dahlem
Ja, auf jeden Fall.
Simon Frisch
Auf jeden Fall.
Björn Dahlem
Also das ist der zentrale Bestandteil der einzelnen Künstlerindividualität, ist das Werk. Und das ist auch das, was im Idealfall von Künstlerinnen und Künstlern übrig bleibt.
Simon Frisch
Ja. Das Werk ist also quasi die Lebenspraxis.
Björn Dahlem
Ja. Also wenn man es ganz weit denkt, umfasst es die komplette Lebenspraxis. Deswegen ist es bei uns auch schwer trennbar. Also zu jeder Zeit kann die Situation Kunst entstehen, hier im Gespräch oder wenn ich nachher zur Türe rausgehe, wenn ich im Auto sitze. Es können jederzeit ja Ideen auftauchen oder man nimmt Dinge in der Umwelt wahr, die einen anstoßen, eine neue Idee bringen.
Simon Frisch
Immer im Modus und arbeitet. Also was ich viel mehr meinte, ist gar nicht in Hinsicht auf, sondern eigentlich vielmehr so rum, dass das die Praxis ist, die man sein Leben lang betreibt. Also man arbeitet am Werk, man macht nicht ein Objekt nach dem anderen und die haben alle gar nichts miteinander zu tun, sondern das nächste Objekt bezieht sich auf das von vorher oder auf das, was man. Also man ist so in einem laufenden Gespräch irgendwie so Metaphern, die sind alle abgetauscht.
Björn Dahlem
Ich glaube, das ist nichts, was man jetzt so bewusst unbedingt so herbeiführt, sondern das ist was. Also in dem idealen Fall stellt sich ein Flow ein. Und dieser Flow, der tritt natürlich momentan ein, wenn man jetzt konkret irgendwas macht, wenn ich im Atelier eine Skulptur bau, dann gerate ich in den Flow Zustand, mache immer weiter und ich muss mal hier einen Schluck Wasser trinken, tut mir leid.
Simon Frisch
Das ist hier soundart, es gehört alles dazu. OK.
Björn Dahlem
Und in diesem Flow Zustand vergisst man das aussenrum und taucht komplett in die Tätigkeit ein. Und so gibt es das im größeren Maßstab, glaube ich, auch über ein Leben lang, dass man eigentlich so einen Langzeit Flow hat, der idealerweise bis zum Lebensende anhält.
Simon Frisch
Ja. Sodass die Behauptung dann interessanterweise zu einer Grundhaltung werden könnte. Das mit der Behauptung finde ich tatsächlich interessant, denn die Behauptung irgendwie eigenartig begründungslos funktioniert. Es ist eine Setzung irgendwie. Du hast auch gesagt Position, also das ist ja eigentlich das lateinische Wort von Setzung. Ich positioniere mich, ich setze mich hier hin. Und das ist spannend, dass Bazon Brock in einem Vortrag, den ich vor kurzem gehört habe, da hat er über die Autorschaft als Errungenschaft der europäischen Kultur gesprochen und hat die wirklich als eine herausragende Konzeption jenseits von klassischen Machtbegründungen sonst so hergeleitet.
Also er hat gesagt, nicht weil der ein großes Heer hat oder viel Geld oder im politischen System oder im religiösen System ganz oben steht, sondern weil es eine Autorschaft, weil einem Menschen eine Autorschaft zugesprochen wird. Das entsteht wohl, er hat es dann so geschichtlich hergeleitet in der Renaissance und dann sind auf einmal Künstlerinnen und Künstler in der in der Lage qua Autor schafft, dann auch wiederum reich zu werden, aber sie werden nicht wegen ihres Reichtums zu mächtigen Figuren, denen man zuhört. Da verändert sich irgendwas in der Konstellation. Und ich hab also ich kann mit dem Kunstbegriff tatsächlich immer mehr anfangen, mit der Autorschaft orientierten Künstlerschaft. Ich kann es allerdings nicht ganz zu Ende begründen, aber das ist etwas, wo ich mich dann wiederum gefragt hab das ist glaube ich doch was, was man an Hochschulen oder an solchen Gebilden oder Institutionen, die hochschulförmig sind oder auch andere Formen haben können, aber die in irgendeiner Weise dann doch irgendwie auch auf Lehre angewiesen sind. Ich stotter jetzt ein bisschen, was sind oder sein können, aber sind, ich setze.
Björn Dahlem
Mal sind, ja, da gibt es irgendwie ganz verschiedene Ebenen. Wir haben jetzt vielleicht über so eine ideale Ebene eher gesprochen, aber es gibt auch die Anwendungsebene. Und das ist ganz praktisch, wenn man sieht, Studierende arbeiten in eine bestimmte Richtung, dann sagt man Schau dir mal Künstlerin XY an und auch noch XYZ und hier und da und guck dir mal minimal Art an und schau dir mal irgendwie die letzten Performances von Anne Imhoff an oder wie auch immer. Man erzeugt ein Referenzsystem. Das ist irre wichtig, denn nichts ist schlimmer, als wenn Studierende an der Arbeit arbeiten, die längst schon existiert, vielleicht sogar in besserer Form. Häufig ist das der Fall, denn die bekannteren Leute sind ja dadurch bekannt geworden, dass die Sachen gut waren oder erfolgreich waren. Das heißt, die haben die prominentere Position.
Und wenn sich dann Leute irgendwie an was ähnlichem abarbeiten, was eigentlich schon komplett und besser bedient wird, nur weil sie die Position nicht kennen, das ist gefährlich sowas. Und da muss man ihnen dann irgendwie ja, sowas gibt es schon. Schau dir das mal gut an und versuch dich so aufzustellen, dass es, dass es wirklich deiner Person entspricht und dass es wieder über das hinausgeht, was schon existiert. Das kommt relativ häufig vor, weil wir nehmen ja alle die ganze Zeit Bilder auf und oft ist das unbewusst. Man hat vielleicht mal irgendwie ein Buch in der Hand gehabt, hat es irgendwie gesehen, hat es aber nicht mehr bewusst gespeichert, dass man die Sachen kennt. Oder auch jetzt natürlich durch die Trends in den sozialen Medien gibt es viele Leute, die die sozusagen auf so einem Zweitverwertungsweg unterwegs sind und als Influencer bekannt werden, weil sie vielleicht eine bekannte Position mehr oder weniger imitieren und das dann in Kreisen, die vielleicht jetzt nicht der professionelle Bereich des aktuellen Kunstmarkts oder der gegenwärtigen Institution sind, unterwegs sind und dann auf eben jüngere Leute abstrahlen. Und da muss man eben so ein bisschen, was heißt ein bisschen, da muss man irgendwie ganz gezielt dafür sorgen, dass die Leute sich klar verorten können und auch wissen, auf welches System sie zusteuern.
Also es will ja vielleicht auch nicht jeder irgendwie ein Blue Chip Künstler von der Kapitalliste werden. Das ist ja auch vollkommen legitim. Also Erfolg ist ja nicht immer irgendwie das einzige Kriterium. Es gibt ja noch einen Haufen andere Kriterien. Aber die Leute sollten sich darüber im Klaren sein, wo sie sich verorten möchten.
Simon Frisch
Also das ist jetzt ein bisschen die, ich glaube, das habe ich schon mal in einem Gespräch gehabt, das könnte sein, dass das jetzt die Stelle ist, ich entsinne mich jetzt gerade, dass mich das irgendwie erinnert, wo man zwischen Karriere und Praxis unterscheiden könnte. Also ich finde eine Praxis oder ich habe eine Karriere, dann tauche ich auf unter den bestverdienten Künstlerinnen, Künstlern oder eben nicht. Da fällt mir gerade dazu ein, also auf der Biennale von Venedig sind oft vor den Toren der Giardini oder so weiter Skulpturen oder was ausgestellt, teilweise von Künstlerinnen und Künstlern, die viel mehr Geld verdienen als die, die drin ausgestellt sind. Und trotzdem interessieren sie mich gar nicht. Aber stimmt das trotzdem? An der Stelle stimmt gar nicht das Wort. Also sie interessieren mich viel weniger als das, was darin ist.
Und das finde ich eigenartig. Und das klingt jetzt vielleicht auch esoterisch. Also das ist wirklich eine Erfahrung, dass Kunst irgendwie unterschiedliche Behauptungskraft entfaltet.
Björn Dahlem
Ja, da muss man vielleicht auch sehr vorsichtig sein. Also gerade hier am Bauhaus haben wir viele Beispiele, die vielleicht auch so medial totgeritten sind, dass man, also wenn ich mir ein Kandinsky Bild in der Pinakothek in München angucke, sehe ich irgendwie ein großartiges Bild. Kandinsky war ein extrem einflussreicher, wichtiger, großer Künstler, vollkommen ohne Zweifel. Trotzdem habe ich im Hinterkopf die ganzen Poster an den Türen von WG Toiletten.
Ich habe die bedruckten Kaffeetassen. Also irgendwann hat man vielleicht auch so eine Position so ausgereizt und so medial totgespielt und so weit vermarktet, dass die vielleicht gar nicht mehr ihre ursprüngliche Wirkung so entwickeln kann. Und so rennt man dann vielleicht irgendwie an einem tollen Kandinsky Bild auch mal vorbei zu einer Arbeit auf einer Biennale, die einem vielleicht im Moment attraktiver erscheint, sich aber dann irgendwie in langjähriger Betrachtung doch nicht hält. Also das ist schon was, wo man auch manchmal falsch liegen kann.
Simon Frisch
Das ist eine sehr schöne Geschichte, so wie du es jetzt gerade aufzählst. Das ist natürlich richtig. Es ist eine große Attraktion, diese ganze Ereignisbiennale mitzunehmen und tatsächlich hatte ich das Erlebnis mit Dalí, der ja auch mindestens genauso, wenn ich noch töter geritten ist als Kandinsky, und zwar in Apolda, also auch in einer relativ unspektakulären Ausstellung. Ich weiß auch gar nicht, ob das überhaupt Originale waren. Da wurde seine Bibel ausgestellt und ich war hingerissen. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich von Dalí noch mal hingerissen werden würde. Und zwar, was da spürbar war, war einfach ein Interesse, oder was als Behauptung, Interesse an der Materialität des malerischen Werkzeugs, was hier noch in Drucktechnik umgesetzt wurde.
Also da war, könnte sagen, eine Multimedialität am Werk und gleichzeitig aber ein malerischer Ansatz, der mich auch wiederum überrascht hat. Also es war auch ein Blick von Dalí an der Stelle. Und ich hatte das Gefühl, dass es ein Eigenreferenzsystem, weil du wirst vorhin von Referenzsystemen sich hier irgendwie ansammelt, so wie wenn sich so Tau sammelt und dann wird es irgendwann so eine kritische Maße. Das hatte wirklich eine Kraft, die mich überrascht hat, diese Referenzsysteme. Fand ich interessant, was du vorhin angesprochen hast. Vielleicht ist das unsere Aufgabe als Lehrende an der Stelle. Ich erinnere mich an dem, was du sagst manchmal.
Bei mir geht es ja darum, sich theoretisch zu positionieren im Wesentlichen. Auch wenn mir das Künstlerische von der Ausbildung her und Werdegang nicht ganz fremd ist, habe ich doch theoretisch stärkere, also eigene Texte zu finden, eine eigene Sprache, eine eigene Formulierung und darin auch dann Behauptungen. Natürlich gibt es da eben auch diese Frage, und da muss ich, ich muss eigentlich Teil von einer Familie werden, von einer neuen Familie. So ist da so mein Gefühl, auch wie du es gerade wieder beschrieben hast, dass ich einfach weiß, in welchen Verwandtschaftsbeziehungen ich künftig agieren möchte.
Björn Dahlem
Ja, das ist absolut richtig. Also damit kann man sehr gut vergleichen. Finde ich einen super Vergleich. Familie, Freundeskreis, sowas. Man braucht Freunde, also Freunde spielen auch eine große Rolle. Man braucht Freunde, Cousins, Eltern, Onkels.
Simon Frisch
Und das sind aber alles, das kann der ägyptische unbekannte Maler aus der Pyramide sein, und der andere ist dann das oder das Picasso Bild, das muss noch nicht mal der ganze sein. Und dann vielleicht noch die Spitzenklöpplerin oder das Bild daneben im Louvre und dann noch eine kleine Zeichnung von einem Regionalkünstler. Und so hat man dann so seine kleinen. Also das heißt, der Lehrerkreis erweitert sich auch. Also wenn du dann weiterreichst und sagst, schau dir mal hier an, schau dir mal da an, dann öffnest du eigentlich auch, also ziehst neue Lehrer hinzu, oder?
Björn Dahlem
Ja, also dieser Kreis der Familie geht ja dann auch noch in der Zeit über die Gegenwart hinaus. Also man hat ja dann auch noch Vorfahren und Ahnen, den wir einschlagen, der ist ja schon beschritten worden. Und natürlich guckt man auch in der Vergangenheit zurück und entdeckt Ähnlichkeiten mit Positionen, die vielleicht schon ein paar hundert Jahre oder sogar bei den Pharaonen ein paar tausend Jahre alt sind. Und natürlich können solche Figuren auch als Referenz auftauchen. Und dann ist das Ganze natürlich auch nicht nur auf die Kunst beschränkt, sondern bestimmte Wahrnehmungsweisen, Betrachtungsweisen, die können ja genauso gut auch aus der Wissenschaft oder auch aus dem Sport oder. Also eigentlich, da würde ich keinen Bereich irgendwie menschlicher Kultur ausschließen. Das kann Literatur sein, das kann aber auch, da gibt es alle möglichen Patenschaften.
Gastronomie und Kunst z.B. sind benachbarte Gebiete, die häufig in den Biografien, wenn man sie genauer anguckt, zusammenkommen. Also da gibt es die schrägsten Querverbindungen über alle Grenzen hinweg. Und man darf das auf gar keinen Fall jemals hermetisch betrachten, dass so ein Prozess abgeschlossen wäre oder dass Dinge ausgeschlossen werden. Also ich glaube, das ist auch in der Persönlichkeitsforschung, in der Psychologie, glaube ich, ist das zentrale Kriterium, dass man bei Leuten, die eben eine Begabung für Kunst haben, aber auch für Wissenschaft, ist eine Grundbedingung, ist Offenheit. Und wenn man jetzt Berufe vergleicht und so was wie jetzt so psychologische Typologien zugrunde legen will, dann sind die Leute, die Kunst machen, meistens die, die einen ganz starken Fokus ihrer Persönlichkeit auf Offenheit legen. Und das ist auch was, was für mich in der Lehre wichtig ist.
Wir hatten lustige Beispiele über die letzten Jahre von Studierenden auch, die vielleicht irgendwie so vordergründig gesehen in der Lehrveranstaltung gar nicht so wahnsinnig ins Rollen kamen. Und dann häufig hatte ich so den Gedanken, man, das sind doch irgendwie gute Leute, die sind präsent, die denken mit so, was ist denn da los? Und teilweise erst nach ein, zwei, drei Jahren kam dann okay, Person X sitzt eigentlich den ganzen Tag zu Hause und macht elektronische Musik. Und dann, was für mich von meinem Selbstverständnis eigentlich völlig normal wäre, wäre, dass die Studierenden, die sowas machen, dann kommen und sagen hey, ich mache elektronische Musik, würde ich euch gerne mal vorspielen. Und dann redet man auch darüber und so was ist tatsächlich dann auch passiert. Und dann hat man gemerkt, wow, da ist die ganze Leidenschaft drin und dann nimmt man halt das mit. Auch das kann Kunst sein, Soundart oder es kann auch einfach ganz normal Musik sein.
Wenn es im Bereich der Popmusik stattfindet, ist es eigentlich auch ein Klassiker, wenn man irgendwie, also prominentestes Beispiel sind vielleicht die Beatles, wo irgendwie gefühlt mindestens die Hälfte der Bandmitglieder eigentlich aus dem Kunststudium kamen. Also da würde ich nie sagen, dass bestimmte Mediendisziplinen oder so ausgeschlossen wären. Und eigentlich ist mein Ansatz da immer möglichst umarmend alle mitzunehmen.
Simon Frisch
Und dann integrierst du das auch in deine Lehre. Das heißt, du arbeitest eigentlich sehr individuell in der Lehre.
Wie stelle ich mir das konkret vor? Du gehst da Woche für Woche rein oder schaust du ab und zu mal vorbei? Da kennt man ja aus Kunstakademien dieses oder jenes Modell. Also das sind jetzt drei Fragen. Jetzt kommt noch die geht das semesterweise weiter zu denselben Figuren oder hast du jedes Semester neue?
Björn Dahlem
Also bei uns ist die Betreuung schon sehr intensiv. Das heißt, wir sind sehr häufig da und im beständigen Dialog mit den Studierenden. Und die Studierenden entwickeln das weiter. Wenn die Studierenden feststellen okay, jetzt habe ich irgendwie vier Semester beim Dahlem studiert. Ich glaube, da habe ich jetzt mitgenommen, was ich wissen will über seinen medialen Schwerpunkt, der eben Skulptur, Objekt, Installation ist. Ich möchte jetzt irgendwie weitermachen und möchte mehr Kunst im sozialen Raum oder experimentelle Malerei, Zeichnungen mehr erfahren, können die Leute problemlos wechseln. Also das nehmen wir auch nicht persönlich.
Und häufig ist es auch in Absprache, dass man gemeinsam an den Punkt kommt und hey, ich glaube irgendwie bei dir wäre es doch gut, wenn du noch mal ein bisschen in die Richtung guckst und ich glaube, da könnte dir eine andere Person weiterhelfen. Da weiß ich nicht genug darüber oder das ist nicht meine Disziplin.
Das gehört ganz grundsätzlich dazu. Das heißt, man hat so einen festen Kern, der eigentlich sozusagen fortläuft oder durchläuft. Und man hat dann aber auch immer ein großes Maß an Leuten, die fluktuieren und die dann eben auch aus anderen Studiengängen teilweise reinkommen, aus der Medienkunst, aus der visuellen Kommunikation, aus der Architektur. Und das ist eigentlich ein guter Mix. Also ich erlebe das auch grundsätzlich als Bereicherung, die Leute aus den anderen Studiengängen zu haben. Und da sehe ich auch einen großen also das ist ein großes Pfund, das wir da haben als Universität, dass wir diese Durchlässigkeit haben, weil das an Kunsthochschulen nicht unbedingt Tradition ist. Also in der Vergangenheit.
Simon Frisch
Genau, das wollte ich erfragen.
Björn Dahlem
Ganz genau. Im eigenen Studium war es so, dass da. Also ich habe eine Kunstakademie Düsseldorf studiert, da gibt es nur das Kunststudium, da gibt es keine gestalterischen Studien, Studiengänge. Und selbst da war es schwierig, dann eben innerhalb z.B. der Bildhauerei, die ich da studiert habe, z.b. schon in eine andere Klasse zu wechseln, war schon ein Manöver, das man irgendwie so im geheimen vorbereiten und anbahnen musste und dann musste man irgendwie die betreffende Professur dann zum richtigen Termin irgendwo erwischen und mit der sprechen und der arbeiten zeigen und und dann hat sie vielleicht schaue ich mal. Es war ein komplexes Manöver, während es bei uns irgendwie völlig transparent abläuft, dass Leute einfach sagen können, okay, ich glaube, ich habe mich irgendwie anders orientiert, ich würde gerne da noch einen Input abholen und dann ist der Wechsel überhaupt kein Problem.
Simon Frisch
Und trotzdem nennt ihr euch ja Klassen. Wie verstehe ich das mit der Klasse? Ist es ein Augenzwinkern, ist das ein Label, weil das ja in Düsseldorf anders funktionierte mit den Klassen, wenn ich das jetzt richtig verstehe.
Björn Dahlem
Ja, also wir haben Projekte, also unsere Projekte sind als Klasse benannt sozusagen. Und das ist so ein bisschen eine Doppelfunktion. Also das Projekt heißt Klasse Gunstheimer, Klasse Dahlem und so weiter, analog. Das haben wir aus dem Grund gemacht, weil wir das Projektstudium nachmodifiziert haben. Es hatte so ein bisschen den Anschein, als der Generationenwechsel in der Kunst stattgefunden hat, hat es so ein bisschen den Anschein, als wäre das Studium bei uns stärker verschult und nicht so frei wie an den an den Kunstakademien oder Kunsthochschulen. Und den Eindruck, dem wollten wir entgegenwirken, dadurch, dass bei uns eben nicht sozusagen im eigentlichen Sinne lehrermässig Medien unterrichtet werden oder Inhalte, sondern dass bei uns studiert wird wie bei anderen auch. Und das macht sich eben immer ganz stark an der Person des Lehrenden fest, logischerweise, weil die disziplinäre und inhaltliche Ausrichtung der Lehrenden sozusagen eine Haltung widerspiegelt, die sich ganz unmittelbar auf den Lehrbetrieb auswirkt.
Simon Frisch
Also das scheint mir jetzt sehr plausibel, aus allem, was wir bisher gesagt haben, das kann man jetzt eigentlich alles einsammeln und dann, weil du gesagt hast, Medien und Inhalte sind es dann nicht. Zu Behauptungen kommt man durch eine Persönlichkeits, also durch eine Form der Positionierung. Und diese Autorschaft spielt dann darin eine große Rolle. Und das ist dann die Entscheidung, das als Klasse zu bezeichnen.
Björn Dahlem
Genau, weil da eben dann der Name der künstlerischen Position auftaucht. Und damit ist für jemanden, der zumindest mal Google bemüht hat, eben klar, dass man bei Björn Dahlem nicht Marmor Skulptur á la Henry Moore studieren kann. Das kann ich nicht liefern. Also das ist sozusagen nicht meine künstlerische Haltung, das ist nicht meine Kompetenz im Material, da habe ich ein ganz anderes Vorgehen. Und das ist dann gleichzeitig das Signal nach außen, okay, den also üblicherweise, wenn man als halbwegs ausgeschlafener oder halbwegs ausgeschlafene Anwärterin für ein Kunststudium sich einen Studienplatz sucht, sucht man sich eine künstlerische Position, von der man glaubt, dass man von ihr profitieren kann.
Simon Frisch
Ja, also jetzt nicht Skulpturhandwerk, Objekthandwerk, Installationshandwerk, sondern Dahlem. Kann man bei dir lernen?
Björn Dahlem
Also jetzt, ich hoffe, andererseits auch nicht, ziehe ich auch immer eine strikte Grenze. Ich versuche eigentlich, mein persönliches Werk aus der unmittelbaren Lehre auch rauszuhalten, weil es gibt auch den unschönen Effekt des Epigonentums, den man auch oft trifft an Kunsthochschulen, wo man bei der Jahresausstellung gar nicht an die Tür gucken muss, wem ist dieser Raum zugeordnet, sondern man kommt rein und aha, das kann ja nur die Klasse von so und so sein. Und das versuche ich zu vermeiden. Deswegen ermutige ich die Leute wirklich immer auch quer durch die Medien alles zu benutzen und sich da bitte nicht an mir, an meinem Werk zu orientieren, sondern was ich den Leuten, was die Leute lehren kann, ist eher vielleicht eine Denkweise oder ein Zugang zur Welt. Und das eigene Werk versuche ich da hinten anzustellen.
Simon Frisch
Ja, aber das ist schon plausibel. Also das aus dem Handwerk, Gewerk, aus dem Inhalt und aus den Medien und aus den Materialien zu ziehen und dann letztlich eine Autorschaftsposition darin zu haben, die, und das finde ich ganz schön, wie du es nochmal differenzierst, die sich nicht im Werk, sondern eben, und das ist spannend, jetzt in der Lehre realisiert. Und jetzt verstehe ich das Prinzip auch ein bisschen besser, die Logik hinter diesem Prinzip. Das ist also eine Klasse, der man sich zuordnet so ein bisschen, man wird Schüler von oder Schülerin von, heißt aber nicht, man lernt die Sachen so zu machen wie die, sondern man hängt sich da dran und geht da in eine Auseinandersetzung mit einer Zeit lang, mit einem Weg. Und jetzt zieht ihr da aber diese Durchlässigkeit ein, die, habe ich das richtig verstanden, in klassischen Kunstakademien nicht so existiert und auch nicht die interdisziplinäre Zusammensetzung. Das finde ich ja ganz interessant, dass du sagst, du schätze es sehr, dass da Perspektiven reinkommen von Leuten, die ja möglicherweise nur ein Semester dabei sind. Was schätzt du daran?
Björn Dahlem
Also mein Studium ist ja jetzt auch schon sehr lange her und in der Zwischenzeit haben sich die Kunsthochschulen auch weiterentwickelt. Und ich glaube, die wenigsten haben noch so ein hermetisches Prinzip, wie das vielleicht damals bei mir sehr stark vertreten war noch. Und auch da hatten es nicht alle. Also da ist ja überall Bewegung drin. Und ich würde jetzt nicht sagen, dass wir die einzigen sind, die da durchlässig wären. Das sind andere mit Sicherheit auch, aber bei uns ist es eben besonders niedrigschwellig. Und dadurch, dass wir ein sehr kleiner Bereich sind, arbeiten wir auch alle sehr eng zusammen und sind immer im Bild darüber, was die anderen so ungefähr machen können.
Deswegen halt auch Empfehlungen aussprechen und geh doch mal zu Mitarbeiter so und so, zu Professoren so und so, hol dir da noch was ab. Und das ist ein sehr, da sind wir vielleicht auch wieder bei der Familie, ist ein sehr familiärer Betrieb. Das hat ja auch viel mit Vertrauen zu tun. Also eigentlich ist in der Lehre dauert es immer ein, zwei Semester mit den Studierenden, bis man auch auf so eine Vertrauensebene im Gespräch gefunden hat, dass die wirklich wissen, okay, wenn der mir jetzt irgendwie sagt und Kritik anbringt, dann muss ich das nicht gleich abwehren und auf meine Person beziehen, sondern es ist wirklich ein Hinweis darauf, wo noch Potenzial liegt, wo man weitergraben kann, wo man Sachen vielleicht noch mal feiner justieren muss und solche Dinge. Also es ist ein sehr persönliches Vorgehen immer, wo man auch, ja, da muss man immer sehr aufmerksam sein. Deswegen bin ich auch nach den Lehrveranstaltungen eigentlich immer komplett durch, weil man die ganze Zeit spontan sich hineinversetzt in die Position, irgendwie selber versucht, die zu orten, das Radar wirklich ganz fein und weit einstellt, um Dinge einzufangen, die da vielleicht Input liefern könnten. Und das ist so gesehen ziemlich anspruchsvoll, auch wenn wir natürlich eine andere Herangehensweise haben als jetzt ein klassischer Professor in den Wissenschaften, der jetzt eine Vorlesung hat und die über eine bestimmte Thematik über ein Semester verfolgt.
Also diese Vorbereitung gibt es bei uns nicht in dem Umfang, obwohl es natürlich Themen gibt, die vielleicht gerade akut auftauchen aufgrund von Weltgeschehen oder auch aufgrund von individuellen Interessen bei den Studierenden, die besonders hervortreten, wo man dann irgendwie sagt, man steigt in bestimmte Thematiken ein, liest da vielleicht noch mal irgendwie was nach, bringt Material mit und so. Das findet natürlich auch statt. Aber 80 % der Lehre entstehen situativ und sind ein Reagieren darauf, was die Studierenden einbringen in Form von Werken, die sie eben zeigen und die man gemeinsam betrachtet.
Simon Frisch
Ja, ich verstehe, man muss da so mit allen Sinnen on sein. Katzen schlafen so viel, weil sie dauernd alle Sinne anhaben, wenn sie wach sind. Das vergleiche ich jetzt gerade. Ich kenne diese Erfahrung, wenn wir über was sprechen und dann kommen die ersten Beobachtungen zu dem Film und so weiter, dann kann ich ja nicht einfach nur verstehe ich nicht, alles Quatsch, sondern ich muss sehr genau, also das ist bei mir der Vergleich, alle Sinne offen haben und rausfinden, wie kann ich diese Person dahin führen, was sie meint. Aber sie ist noch auf der Suche nach Worten, die dann zu dem Film passen, hat vielleicht an der falschen Stelle gelacht, geniert sich jetzt oder so was in der Richtung. Das muss man ja rausholen. Das ist, glaube ich, vergleichbar mit allem, was du jetzt gerade beschrieben hast.
Ich kann damit sehr, sehr viel anfangen. Ich wollte noch auf einen anderen Bereich, weil wir mit der Zeit schon fortgeschritten sind. Ihr habt ja auch sehr viel werkstattorientiertes Arbeiten. Welche Rolle spielen die Werkstätten in deiner Lehre?
Björn Dahlem
Also die Werkstätten spielen generell eine sehr wichtige Rolle in der ganzen Fakultät und natürlich auch im Studiengang. Bei den Werkstattleitenden ist auch die Kunst, glaube ich, in gewisser Weise auch immer eine besondere Herausforderung, weil da, weil sozusagen das Erzeugen von Kunstwerken nicht automatisch identisch ist mit handwerklich korrektem Vorgehen. Das wird aber von den Werkstattleitungen wird es aber immer als Herausforderung angenommen. Das ist auch wirklich was, was großartig ist an den Werkstattleitungen, dass sie sich darauf einlassen und auch eben so wie wir uns in die Betrachtung und in die Kritik der Werke reinfühlen, die sich ja auch in die Autorenschaft hineinfühlen müssen. Und den Studierenden durch dieses Einfühlen eben auch den Weg zum passenden Ergebnis zu zeigen. Das ist auch eine sehr anspruchsvolle Aufgabe der Werkstattleitungen und die machen da einen grandiosen Job.
Simon Frisch
Wie ist dann das Studieren, so der Studierendenalltag von Montag bis Freitag, sagen wir jetzt mal, oder vielleicht geht er ja auch bis Sonntag. Kann man am Wochenende auch studieren?
Björn Dahlem
Ja, bei uns schon.
Simon Frisch
Es gibt Arbeitsplätze?
Björn Dahlem
Ja, die sind zugänglich. Also zu den normalen Öffnungszeiten und im Prinzip können die Studierenden da die ganze Zeit am Werk sein.
Simon Frisch
Und dann habt ihr immer Besprechungen, wöchentlich? Wöchentlich. Wie läuft das dann ab? Mit einer eins zu eins oder wie kannst du so eine Besprechung.
Björn Dahlem
Also da gibt es natürlich auch individuelle Lehrmethoden dann. Ich persönlich führe relativ wenig Einzelgespräche, weil ich das für ein wichtiges Training auch halte, im Sinne der Behauptung, dass man sich auch einer größeren Gruppe von Leuten gegenüberstellen kann und da eben für sein Werk eintritt. Das, was wichtig ist, eine Fähigkeit. Also im späteren Berufsleben wird es in seltenen Fällen so sein, dass man immer mit den Leuten zu Hause am Kaffeetisch irgendwie alles verhandelt. Dann muss man auch auftreten können, muss vielleicht auch mal einen Vortrag halten können. Man muss man muss vor Kunst am Bau Wettbewerben, vor Kommissionen sprechen können oder man muss vielleicht auch mal eine Gruppe von Leuten von einem Museum durchs Atelier führen. Also die natürliche Situation ist tendenziell eigentlich eher eine Gruppensituation in der Kunst.
Und das versuchen wir auch so zu trainieren, wenn es irgendwie um spezifische Projekte geht, also Projekte der Studierenden meine ich jetzt, oder dann natürlich auch bei Diplomprüfungen. In der Vorbereitungsphase gibt es natürlich auch eins zu eins Gespräche, aber das klassische Format ist die Kritik in der Gruppe und natürlich nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, weil ein gehöriges Maß des Inputs ja auch nicht von mir kommt, sondern von den anderen Studierenden. Also das ist auch Teil der Auseinandersetzung ist, dass ich nicht nur aufgrund meines eigenen Wissens oder meiner eigenen Kompetenz kritisiere oder mit betrachte, sondern dass das die anderen Studierenden ja auch machen und die trainieren ihre Fähigkeiten. Also nach außen hin wird in der Lehre ja vor allem sichtbar das drüber sprechen, aber dem drüber sprechen muss die genaue Betrachtung vorweggehen. Ohne die die kann es kein vernünftiges Gespräch über die einzelnen Objekte geben. Und so betrachten wir alle immer in der Gruppe und jeder sagt mehr oder weniger spontan in die Runde, was dazu zu bemerken ist und gibt Statements ab und so entwickelt sich dann Dialog, der dann auch teilweise komplett von den Studierenden übernommen wird und dann vielleicht auch mal 20 Minuten nur aus Gespräch der Studierenden stattfindet, dass man eigentlich eher zurückhaltend moderiert, weil das ist ja Sinn und Zweck, dass die Studierenden selber in die Rolle kommen, das alles mit zu reflektieren, sich auszutauschen. Und ich kann auch im Blick auf mein eigenes Studium sagen, dass ich bestimmt die Hälfte der Dinge, die ich gelernt habe in der Ausbildung von den Kommilitonen gelernt habe.
Simon Frisch
Das finde ich interessant. Also so ist dann tatsächlich die Rahmensetzung eines der Haupt der Hauptaufgaben, also einen Raum herzustellen und das wird manchmal also so, das sieht man nicht immer die Leistung, die das eigentlich ist, also den Raum herzustellen, in dem sich dann sowas entfalten kann, weil das ist der Kraftakt, den man da hauptsächlich leistet, wenn ich das richtig verstehe. Und dann gehen die Studierenden aus diesen wöchentlichen, wirklich wöchentlichen Besprechungen?
Björn Dahlem
Also die sind in verschiedenen Formaten teilweise sind es dann, also es ist nicht immer wöchentlich mit mir, das kann auch mit den Mitarbeitenden sein oder auch mit Mitarbeitenden anderer Professuren. Aber ich würde sagen, also es gibt ja nicht nur die Projektmodule, die Aufgabe der Professuren vor allem sind in der freien Kunst Mitarbeitende bieten die Fachkurse heißt es bei uns an, die flankierend teilweise mit direktem Bezug zum Projekt oder auch teilweise sozusagen autonom nebenher laufen, ergänzend nebenher laufen und so sind eigentlich die Studierenden wöchentlich im Kontakt mit den Lehrenden.
Simon Frisch
Ein dauernd laufendes Gespräch und dann wieder zurück in die Werkstätten, an die Arbeit und so und so und man weiß dann so jetzt bin ich bald wieder dran, dann muss ich es wieder zeigen.
Björn Dahlem
Genau, also es gibt immer so eine Grundbewegung, das ist auch total wichtig, weil also das würde ich mit dem Leistungssport vergleichen, wenn man nicht in der Bewegung bleibt. Und wenn ein Leistungssportler irgendwie eine Woche auf dem Sofa sitzt, dann ist das Ding eigentlich schon gelaufen, dann braucht er wieder ein paar Wochen, um reinzukommen. Also diese Grundfitness ist was ganz Wichtiges. Deswegen gibt es, und da gibt es dann vielleicht schon auch so technische Empfehlungen, die man machen kann. Also ich würde jedem, der studiert, würde ich empfehlen, ein Tagebuch zu führen, Skizzenbuch zu führen, Traumtagebuch zu führen, Dinge, die interessant sind, die einem im Alltag, auf der Straße, beim Essen gehen, im Kino oder sonst wo begegnen, die als Notiz festzuhalten, als Skizze festzuhalten, dass man alles eigentlich einsammelt, was potenziell Material sein könnte und dadurch auch so ein persönliches Archiv erzeugt. Also alle Leute, die ich kenne, die Kunst machen, die haben Archive und teilweise auch mit bizarrsten Inhalten, weil eben alles in der Kunst relevant sein kann, auch wenn es dann vielleicht primär in dem Produkt der jeweiligen künstlerischen Position gar nicht mehr eins zu eins sichtbar ist. Aber im Hintergrund gibt es da ganz, ganz viel an Bildmaterial, das archiviert und gesammelt wird, oder an Bibliotheken, die es gibt, oder Sammlungen von Objekten.
Also es kann in alle möglichen Richtungen gehen. Ich bin auch ein großer Fan von Büchern und sammel da gerne und viel. Also das ist ganz wichtig, die Archivhaltung.
Simon Frisch
Das mit den Büchern ist mir kurz durch den Kopf geschossen, dann habe ich auf die Uhr geschaut. Es gibt von Cezanne den Satz, dass Künstler eigentlich nicht besonders viel lesen. Und Gilles Deleuze hat gesagt, da hat er wahrscheinlich tief gestapelt, er kennt eigentlich nur Künstler, die sehr viel lesen. Wahrscheinlich lesen sie alle in der Nacht oder sowas. Sie arbeiten ja auch noch. Aber Künstler sind doch häufig und Künstlerinnen Menschen, die eher mehr als weniger lesen. Darüber würde ich jetzt gerne auch noch weiterreden, aber unsere Zeit ist leider zu Ende.
Ich habe das Gespräch sehr genossen. Vielen Dank, lieber.
Björn Dahlem
Das kann ich nur so zurückgeben. Vielen Dank dir.
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