Ep. 35 – Gespräch mit Christiane Voss
Shownotes
Was heißt es, das Denken zu lehren? Und wie bringt man Begriffe ins Fließen, ohne sie zu verlieren? In dieser Episode spricht Simon Frisch mit Christiane Voss, Professorin für Philosophie und Ästhetik, über das Verhältnis von Theorie und Praxis, über das Erlernen von Sprache und über Lehre als geteilten Denkprozess. Voss erzählt von ihrer Philosophie als Bewegungswissenschaft, von Übungen zur Aufmerksamkeit, vom genauen Lesen und vom produktiven Ringen mit schwierigen Texten. Es geht um die Bedeutung von Anschauung in der Theorie, um Widerstände als Erkenntnismomente und um die Frage, warum es sich lohnt, auch dann weiterzudenken, wenn der Anfang unverständlich scheint. Ein Gespräch über den Mut zur Unschärfe, über Denklandschaften ohne Wegweiser und darüber, warum eine gute Lehrveranstaltung manchmal mehr mit einem Spaziergang als mit einem Lehrbuch zu tun hat.
Unser Host: Dr. Simon Frisch ist Vizepräsident für Lehre und Lernen an der Bauhaus-Universität Weimar und er leitet die Dozentur für Film- und Medienwissenschaft. Er interessiert sich besonders für die spezifische Praxis der Theorie und für die ostasiatischen Wegkünste sowie die Spaziergangswissenschaft als Perspektive und Methode in Lehre und Forschung.
Mitwirkende: Host: Simon Frisch Sound-Design und Schnitt: Jonas Rieger, Moritz Wehrmann Musik: Sebastian Lederle Artwork: Andreas Wolter Ton und Technik: Steven Mehlhorn, Moritz Wehrmann Marketing und Social Media: Claudia Weinreich, Marit Haferkamp Juristische Beratung: Laura Kister Transkript: Natalie Röhniß Produzentin: Nicole Baron Distribution: Ulfried Hermann, Jonas Rieger
Folgenwebsite: www.uni-weimar.de/lehre-podcast
Weiterführende Links: https://www.uni-weimar.de/de/medien/professuren/medienwissenschaft/philosophieavmedien/personen/prof-dr-phil-habil-christiane-vos
Transkript anzeigen
Christiane_Voss
Simon Frisch
Das Mikrofon geht auf und wieder treten viele Personen auf und müssen sich erstmal sortieren, als wären wir hier eigentlich sprechen. Mein Name ist Simon Frisch, da haben wir schon mal eine Sortierung. Und ich fange dann immer an oder habe immer mit diesen vielen Personen Wir sind ja im Leben immer unterschiedlich, je nach Situation oder Begegnung sehr, sehr viele. Und ich selbst spreche hier, das nehme ich mir zumindest immer vor. Und dann werden es doch mehr in zwei Rollen als Vizepräsident für Lehre und Lernen und als Dozent für Film und Medienwissenschaft. Als Dozent, ich lehre seit 1999, glaube ich jetzt schon eine ganze Zeit und ich interessiere mich sehr fürs Lehren.
Und heute habe ich Christiane zu Gast. Als wer bist du denn alles gekommen?
Christiane Voss
Oh, also jetzt hier tatsächlich reduziert auf meine Rolle als Professorin für Philosophie und Ästhetik, Fakultät Medien. Genau. Christiane Voss heiße ich und treibe seit 40 Jahren Philosophie in völlig verschiedenen Settings, Kontexten und mit verschiedenen Schwerpunkten. Und seit ich von 2010 an hier in Weimar gelandet bin mit der Stelle, bin ich auch jetzt Medienphilosophin geworden. Das ist so ein bisschen auch vielleicht noch ein Unteraspekt, mit dem ich heute hier auch stehe.
Simon Frisch
Philosophie und Ästhetik, das ist natürlich ein ganz toller Gegenstand, sag jetzt ich insbesondere der Dozent für Film und Medienwissenschaft. Und wir haben ja auch schon sehr, sehr viele Gespräche geführt und im Vorfeld habe ich mir gedacht hoffentlich wird das Gespräch bei der Aufnahme so lustig und lebendig. Ich rede wahnsinnig gern mit dir. Wir haben sehr, sehr viele interessierte Gespräche geführt und interessante auch, glaube ich, zumindest hoffe ich das. Dieses Gespräch nehmen wir jetzt auf und hoffe, dass es interessant wird. Und Philosophie und Ästhetik, für mich war Ästhetik schon vor meinem Studium ein wahnsinnig anspruchsvolles und hohes Feld, wenn es darum ging, ja dazu zu verbalisieren, sag ich mal. Und jetzt ist Philosophie ja auch eine verbalisierende Disziplin vor allem.
Und dann noch in Hinsicht auf Ästhetik ist es natürlich ganz interessant, da Ästhetik ja übers Verbalisieren hinausgeht. Wie würdest du dein Forschungs- und insbesondere aber auch Lehrfeld abstecken oder charakterisieren in diesem Feld Philosophie und Ästhetik?
Christiane Voss
Ich würde vielleicht darauf zweigleisig Antworten. Die erste Antwort ist sozusagen rückblickend auf meine Zeit in der Philosophie. Als ich sagen von der Philosophie her, also von der traditionellen Schulphilosophie her, auf die Ästhetik geschaut habe, da hat sich die Frage lustigerweise für die Philosophie selber nie so gestellt. Ignoranterweise würde ich heute sagen. Aber für die Philosophie ist die Versprachlichung von relevanten Sätzen über etwas das normale Geschäft, das Kerngeschäft. Und es gilt auch, wenn der Gegenstand der Reflexion Bilder sind, Musikstücke, Tanz, Theater. Für die Philosophie war das nie irgendwie ein Fehler oder ein Problem, dass man vielleicht auch nicht mal weiter darüber nachdenkt, wie die Übersetzung in sprachliche Formulierungen, sprachlichen Ausdruck eigentlich geschieht.
Wenn ich etwa einen Film mit philosophischen Mitteln versuche zu beschreiben, dann kommt eben deshalb auch oft raus vielleicht, dass man dann, wenn man es so macht, dass man die Versprachlichung oder die sprachliche Verständigung über ein nichtsprachliches Medium betreibt in der Philosophie mit philosophischen Mitteln, dass man sehr stark auf die inhaltliche Ebene geht, also auf das, was man Semantik nennen könnte, Bedeutungsebene, also welche Bedeutung hat der Film? Ist eigentlich immer die Hauptfrage. Und das, was da in der Philosophie Ästhetik verhandelt wird, ist eben immer: Was bedeutet dieses Bild? Was bedeutet dieses Theaterstück, Was bedeutet dieser Film? Und diese Bedeutungsfragen führen tendenziell ein bisschen dazu, ich glaube, das ist heute auch besser geworden als vor vielen Jahren, aber führen doch tendenziell dazu, dass man den Plot, würde man sagen, stark nach vorne zieht und eigentlich so was wie Theater oder Film oder auch andere Kunstwerke behandelt wie einen Text. Und das hat auch in den 1980er Jahren ja eine große Modewelle. Oder war es einfach die Auffassung, die Welt ist ein Text, das Leben ist ein Text, also sind alle Dinge eigentlich Text?
Man muss nur die Textualität herausarbeiten. Und für die Philosophie war dann die dankbare Aufgabe zu sagen oder bestand dann darin zu naja, also da alles in gewisser Weise Text ist, zumindest nach einer bestimmten Denkschule, die aber dann, glaube ich, immer noch auch eine Rolle spielt. Wenn alles Text ist, dann geht es eher darum, sich klarzumachen, dass das, was wir jetzt erstmal nicht als sprachliches Werk wahrnehmen, nehmen wir mal ein Theaterstück, hat aber trotzdem eine implizite Textstruktur. Und unsere Aufgabe besteht dann darin, diese implizite Bedeutung und die implizite Textualität eines Theaterstücks eines Kunstwerkes, eines Films explizit zu machen, sodass ich eigentlich die philosophische Ästhetik immer so verstand, dass sie selber gewissermaßen als Medium der Übersetzung fungiert für die Frage der Bedeutung von Kunstwerken. Der zweite Teil meiner Antwort, wie ich das Verhältnis zur Ästhetik sehe, ist, eigentlich habe ich Weimar zu tun. Als ich dann in Weimar gekommen bin, habe ich eigentlich selber erstmal gestaunt darüber, wie hier Medienphilosophie betrieben wird und was das eigentlich heißt. Und da ist eine der großen Lektionen, die ich wirklich erst hier lernen konnte und musste und aber auch durfte, dass man die Medienfrage noch mal stärker ernst nimmt und dass man nicht versucht, überall den Text zu finden und den dann explizit zu machen und von einem Text implizit in einen anderen Text explizit zu übersetzen und dabei letztlich textbezogen zu bleiben, sondern dass man auch die außersprachlichen und vielleicht nicht, also Text ist ja ein weiterer Begriff, aber auch die außersprachlichen Textualitäten kann man, oder Texturen vielleicht sogar und Textilität und Materialitäten ernst nimmt in deren Möglichkeit und Power an Bedeutungsgenerierung mitzuarbeiten.
Also was kann eine Farbe eigentlich beitragen zu einer, kann man mal sagen zur Bedeutung, aber auch nicht nur zur Bedeutung, auch zu einer Ausstrahlung. Also dass nicht nur die Frage da aufzuwerfen wäre aus der medienphilosophischen Perspektive, was etwas bedeutet im Sinne der inhaltlichen Dimension, sondern was etwas auch wie Anmutungsqualitäten zum Beispiel sind. Welche Atmosphäre geht von einem Kunstwerk aus, welche Affizierungsmöglichkeiten gehen davon aus, welche Wahrnehmungsveränderungen gehen einher und werden konfiguriert von Kunstwerken? Das sind ja eigentlich etwas anders gelagerte Fragen, die sich um diese Bedeutungsfrage zum Teil herumlagern, zum Teil aber auch unabhängig von der Bedeutungsfrage ihre eigene Rechtmäßigkeit haben. Und ich glaube, dass da, wo Ästhetik medienreflektiert betrieben wird, das gibt es natürlich auch in der Philosophie bei Ästhetiken, die Respekt vor Material haben. Es gibt natürlich auch tolle ästhetische Theorien, die nicht Medienphilosophie heißen und trotzdem fantastische Analysen von Kunstwerken betreiben können, zwar im Medium der Sprache, aber doch so, dass man eben jenseits der Bedeutung auch das, was an Anmutungsqualität und an Herausforderungen einer vorbegrifflichen Arbeit des Kunstwerks, wie man das sozusagen versucht in den Begriff zu bringen, dass man da mit Beschreibungen experimentiert, zum Beispiel versucht, die Dinge nicht auf die Definition zu bringen oder auf letzte Sätze oder auf propositionale Thesen, sondern dass man versucht, über dichte Beschreibungen selber vielleicht eine Literarisierung der eigenen Sprache, eine Ästhetisierung der eigenen Sprache mit nach vorne zu treiben, um sich etwas anzuschmiegen in dem Duktus, wie man über Dinge spricht. Und also das alles zusammengenommen, würde ich sagen, da kreuzen sich eigentlich philosophische Ästhetik und Medienphilosophie, aber die Medienreflexionen mal stark nach vorne zu stellen und auch die Kritik daran oder das Bewusstsein zu schärfen dafür, dass wenn man als Philosophin im Textmodus arbeitet, man eben dies tut, dass das auch ein Medium ist, das seine Grenzen hat und seine Grenzen noch implementiert.
Also wenn ich in einer linearen Satzform schreiben muss über etwas, dann linearisiere ich auch den Gedankengang dazu und das, was dabei rauskommt, wird linearisiert. Und das heißt, dieser Eintrag, da kann man daran an so einem Beispiel einfach zeigen, wie sich das Medium, das man selber wählt, im Zugang zu etwas einträgt auf das, was man damit versucht zu beschreiben. Und das Bewusstsein dafür zu schärfen, habe ich besonders in Weimar gelernt. Deshalb stehe ich hier eben als Philosophin, klassische Philosophin, Ästhetik, aber auch als Medienphilosophin mit dieser Verschärfung vielleicht für ein medienkritisches Bewusstsein.
Simon Frisch
Jetzt habe ich mir mehr notiert, also Bedeutung und Erzählung, Plot und so weiter. Dann geht man auf die Narration, dann kann man das, was der Film erzählt, nacherzählen. Das geht verbalsprachlich, da gibt es eine Kultur dazu, also weiß man, was eine Erzählung ist, also holt man die Ebene raus, die dazu passt. Und dann erzählt man den Film und alles, was nicht zu dem Modus des Erzählens passt, entgeht einem irgendwie. Dann kann man vielleicht in den Modus des Deutens gehen, das kann man auch lernen, das geht dann Hinsicht auf Sinn oder was kann ich damit anfangen, eine Lehre daraus gewinnen und so weiter, Moral von der Geschichte und so. Und dann aber habe ich jetzt noch den Modus der Beschreibung erlebt und gehört, sodass wir Beschreibung, Erzählung und Deutung vielleicht vergleichen können. Jetzt erstmal ganz grob Beschreibung, Erzählung und Deutung.
Dann hattest du Anmutung und Affekt gesagt und dann habe ich mich gefragt. Sind es Zustände oder Vorgänge? Und dann ist es natürlich schon interessant, dass man dann plötzlich darüber nachfragen muss, wenn man der Film, das Buch, der Text, was das da eigentlich ist, mit dem ich zu tun habe. Und jetzt an der Stelle, wo du Linearisierung, also ich bewege mich linear zu etwas Linearem und was kommt dabei raus, was linear ist. Da war dann auf einmal die Bewegung mit dabei, sodass also aus der Übersetzung auch eine Bewegung wird und dass ich dann auf einmal Verlaufsformen habe. Also das, womit ich zu tun habe, sind möglicherweise Verlaufsformen und entlang dieser Verläufe bewege dann auch ich mich. Und hier finde ich es interessant, dass da die Philosophie als ästhetische Philosophie oder als philosophische Ästhetik irgendwie verlaufsförmig wird, statt übersetzungsförmig. Also ich verlaufe dann, wenn man sagt, ich setze nicht den Fluss über, sondern ich verlaufe mit dem Fluss.
Christiane Voss
Toll, toller Gedanke. Ich glaube, das ist konsequent. So wäre es konsequent. Ich glaube, ganz viel von dem, was so normativ für Philosophie gilt, unterläuft diese Öffnung dafür selber in eine Verlaufsform, sich zu verlaufen, sich zu verirren.
Simon Frisch
Genau, ich verlaufe und so weiter. Und jetzt ist natürlich interessant, jetzt haben wir es mit Leuten zu tun, die wollen bei uns was lernen, wie kommen die an, was ist da deine Erfahrung und wie kriegst du, wie kommst du in diese Verläufe, ohne dass die sagen, ja was ist denn jetzt kriegen wir mal eine Definition oder so.
Christiane Voss
Also genau, ich würde sagen, das ist ein super Übergang, weil ich glaube, dass die Erwartung, etwas abgeschlossen in Paketform mit Schleife drauf mit nach Hause nehmen zu können, ist erstmal die Erwartung der Studierenden. Das ist meine Erfahrung, dass die Studierenden, ob Fortgeschritten oder Anfängerinnen, egal wenn die da sitzen, erwarten die, dass man ihnen ein Paket schnürt und zum Verwerten mit nach Hause bringt, mit nach Hause nimmt. Und das wollen die auch nachhaltig dann zitieren können. Die wollen sagen können, also bei Voss lernt man Ästhetik ist und dann kommt eine Definition oder dieser Film sagt das und das. Und ich glaube, genau diese Erwartung zu brechen, also genau diese Bewegung, von der wir gerade sprechen, von der vermeintlich nur bloßen Übersetzung, in eine Verlaufsform zu kommen, die dazu führt, dass ich selber meinen Zugang zur Welt oder jetzt in diesem Fall exemplarisch meinen Zugang zu einem Text so öffnen muss, dass ich selber nicht weiß, was dabei rauskommt und das aber nicht für einen Fehler halte, sondern zu lernen, dass ich nicht weiß, was etwas, wohin ich gebracht werde, wenn ich einem Gedanken folge oder einem Bild folge oder einem Film folge. Dass diese Offenheit der eigenen Zuwendung zu etwas, dass die Akzeptanz dafür erstmal eingeübt wird. Ich glaube, das ist das Allerwichtigste, das erstmal ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Offenheit einer Form, einer Herangehensweise nicht bedeutet, dass hier Chaos herrscht, Desorientierung im schlechten Sinne, Nichtwissen oder einfach Wahllosigkeit, sondern dass das eigentlich im Gegenteil, man könnte sagen, ein Wahrheitsgeschehen ist, das mich eigentlich darin trainiert, mich erstmal, bevor ich schon meine Abschließung wieder habe, mein Urteil gefällt habe, meine Zwecknutzungskalküle wieder appliziert hab, bevor ich alles das wieder mache, was mich da wieder dazu empowert, wieder praktisch ökonomisch zu werden mit dem, was ich kann und weiß, dass ich erstmal sagen, so was wie eine Selbstöffnung vornehme und mir die Erfahrung erlaube, jemand anderer zu werden und etwas anderes zu denken, als ich immer schon denke und auch vielleicht mit der Störung zu leben, dass ich etwas anderes denken lerne oder wahrnehmen lerne oder empfinden lerne, womit ich vielleicht weiterhin nichts anfangen kann.
Aber es öffnet erstmal sozusagen, ich würde mal sagen, neue Synapsen, neue Affektströme, neue Möglichkeiten der Wahrnehmung. Und das, glaube ich, ist, also ist mir persönlich ein ganz wichtiger Anspruch in der Lehre, dass dort auch im engeren Sinne Erfahrungen gemacht werden, also Erfahrungen der Irritation, der Selbstirritation und der Überwindung, der spielerischen Überwindung eigener Grenzen, die nicht darin liegen, dass ich Höchstleistung bringe und noch schlauer bin als alle anderen im kompetitiven Modus, sondern dass ich das Schwierigste mache, mich selber kurzfristig aussetze, ohne zu wissen, wohin ich mich jetzt bewegen lasse. Ich setze mich einem Text aus einem Kunstwerk, aus einem Dialog aus.
Simon Frisch
Das ist interessant. Also vielleicht habe ich es jetzt falsch verstanden, aber ich fand den Gedanken schön, Ich setze mir mich aus. Also das passt nämlich zu etwas, worüber ich, wir machen ja auch beide Film, worüber ich beim Film sehr viel nachgedacht habe und ich fand die Wand immer sehr schwer zu überwinden, wenn die Studierenden den Film doof finden. Ich hab die finden doof, die finden ihn schlecht gemacht, die finden ihn alt, zu langsam, unzeitgemäß, weiß ich nicht alles was. Und dann dachte ich immer, was die alles finden und wieso suchen sie nichts? Und und ich habe es dann einfach mal grammatikalisch umgekehrt. Hört doch mal auf den Film zu finden. Schaut doch mal, wie der Film euch findet.
Und diese Drehung ist ja wirklich ein mich mir aussetzen, weil du dann nämlich auf einmal, also das kennen wir ja, dann kommen wir eigentlich in eine Tradition, die Landschaft schaut mich an und so weiter. Das ist ein sehr alter Topos. Beim Film haben wir das aber gar nicht so sehr, dass der Film mich anschaut. Und mir ist in den letzten Jahren aufgegangen, dass das sehr tragfähig ist zu sagen. Wie findet mich der Film eigentlich? Und wenn ich dann Ich finde den Film doof und so sagt ja, der hat mich gar nicht gefunden, dass man dann Aha, versuch doch mal, vielleicht findet er dich ja. Und auf einmal wird das sehr tragfähig, weil das hat dann wirklich was sich sich aussetzen. Das hat irgendwie plötzlich führt das zu so Ich setze mich mir aus.
Das finde ich ganz interessant als eine Aufgabe in der Lehre, dass wir zu Punkten kommen, in denen wir uns ausgesetzt sind.
Christiane Voss
Wow. Also das finde ich mega anspruchsvoll. Das würde ich mich gar nicht, Also finde ich toll, Tolle Idee. Ich glaube, ich wäre selber total überfordert, wenn ich da sitzen würde und jemand würde sagen wie findet der Film dich denn? Dann würde ich was? Ich weiß nicht gar nicht wieso, Was soll ich jetzt sagen? Hilfe.
Simon Frisch
Auf einmal ist nichts mehr da, außer ich jetzt hier.
Christiane Voss
Außer ich jetzt hier und selbst das ist nicht mehr klar, weil ich, weil ich ja jetzt gesehen werde, von wo aus. Und also das finde ich sehr anspruchsvoll. Ich glaube, die Irritation ist gut. Ich glaube, was ich daran sofort mal mitnehme und am liebsten mir von dir mitnehmen, ist die Irritation, die das bedeutet Dialogszene vermeintlich, also eigentlich aufbaut, weil wie schaut der Film mich an? Der Film schlägt seine Augen auf und schaut zurück, wie Mauren sagt.
Simon Frisch
Genau da ist es ja, es ist ja ein alter Topos. Aber den mal auszubuchstabieren und in der Lehre eigentlich schon auch dann zu sagen: Empfindet es mal. Jetzt kann man natürlich interessiert mich nicht, dann kann man das macht ja nichts. Also dann machst du es halt nicht. Mach andere Sachen oder geh anders mit Film um, Aber dann red nicht immer mit. Also macht nicht immer Sinn dann auf der Ebene.
Christiane Voss
Super. Also ich glaube, ich würde Also was ich normalerweise mache, das ist ja genau das Problem, was wir alle haben. Also wenn ich mit Studierenden vorm Film sitze, die oh, boah, was ist das denn? Billy Wilder, Sunset Boulevard zum Beispiel gucken wird es ja schwarz weiß.
Simon Frisch
Sieh an.
Christiane Voss
Ja, so what? Ja, dann wollte ich erst mal nicht gucken.
Finden wir blöd. Finden wir vor blöd, Schwarz-weiß Filme finden wir blöd.
So ist im Raum Blockade. Was macht sie jetzt? Sie ist ein bisschen pädagogisch gefordert Und dann habe ich okay, finden Sie blöd. Jetzt haben Sie ja schon gesagt, Sie haben Ihr Urteil ja schon gefällt. Jetzt versuchen wir mal das Urteil. Können Sie jetzt einfach mal einmal einklammern, ganz lieb mal kurz neben sich setzen und sagen ich komme gleich wieder zurück. Du kannst jederzeit, kann ich dich wieder besuchen, Du bist immer neben mir und jetzt mache ich mal kurz eine Pause von dir.
Ich guck mal, was sonst noch so läuft. Und dann hab jetzt gucken Sie aber nicht, was Sie daran blöd, also dass Sie es blöd finden, sondern versuchen Sie mal Oh, Ihr Urteil steht ja neben Ihnen. Sie können jederzeit sagen, finde ich blöd, finde ich blöd, finde ich blöd. Aber wenn Sie jetzt mal ganz kurz Parken nehmen, sich ganz beruhigt sitzen lassen und jetzt mal ohne Urteil einfach nur gucken, was sehen Sie denn eigentlich? Also nicht wie finden Sie das, sondern was sehen Sie? Und dann zum Beispiel vorspannen Sie kurz den Vorspann an. Wie bitte?
Vorspann ist ja noch langweilig.
Simon Frisch
Das ist gut. Das ist so Ein bisschen wie 20 Minuten meditieren ist zu lang. Dann meditiere 40, dann sind 20 nicht mehr lang. Also es hat ein bisschen.
Christiane Voss
Aber das Tolle war, dass ich das selber erstmal gelernt habe. Ich experimentiere da auch rum, weil ich ja natürlich überhaupt nicht vorher weiß, womit ich die jetzt kriegen kann und auch nicht weiß, womit ich mich selber kriegen kann. Denn wenn ich nicht abgeholt bin, wenn ich nicht begeistert bin, kann ich nicht lehren. Also das, was ich selber nicht faszinierend finde, kann ich nicht beibringen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass eine Faszination sein muss, um sich überhaupt für etwas so zu öffnen, dass man auch ein faires Verständnis entwickelt. Mit dem fairen Verständnis meine ich, dass man erstmal Respekt hat vor dem Gegenüber. Und in dem Fall ist das Gegenüber eben ein Film. Das kann aber auch ein Text sein, von dem die Studenten ja auch sagen, was bei Ihnen müssen wir viel lesen, wollen wir nicht, weil lesen war gestern.
Dann würde ich sagen, das ist auch ein tolles Urteil. Nehmen Sie das einfach, setzen das wieder auf Ihren Platz.
Simon Frisch
Aber du hast dann, das ist ganz schön, das Urteil neben sich zu setzen. Dann hat man seine Ruhe.
Christiane Voss
Nicht sagen, hören Sie mal, Sie urteilen falsch, denn dann hat man nur Feinde, dann gehen ja alle Klappen zu. Man muss jetzt sagen, das Hirn öffnen. Also wie kann man jetzt sagen, aus Ihrer Sicherheit so rausholen, dass Sie sich nicht einfach nur verunsichert fühlen.
Simon Frisch
Das Erlebnis habe ich eben ganz oft, dass ich dann in die Rolle des Anwalts, des einsamen Anwalts gedrängt werde und aber schwarz-weiß, hören Sie das? Sehen Sie, es wird immer hilfloser, ich werde immer kleiner, ich werde immer peinlicher. Das ist einfach so entsetzlich verzweifelt anstatt eben und es bringt ja auch gar nichts. Wieso soll das jemand überzeugen, dass ich das immer besser finde und die dann immer schlimmer? Nö, lass mal kommen und so weiter. Wie so ein Kind, was immer wieder was fallen lässt und ich hebe es immer wieder auf und das Kind merkt, ist ja toll, der hupft immer noch. Und sowas entsteht dann.
Aber du setzt dann das Urteil neben die Leute und dann sagst du, und das wollte ich noch mal anknüpfen, jetzt schauen wir uns mal nur den Vorspann an.
Christiane Voss
Ich war in einer Situation, in der ich selber nicht weiß, was ich jetzt da zu sehen bekomme. Also ich mache also etwas, dem ich mich auch aussetze. Also ich stehe da nicht als Schlaumeierin und weiß schon, was jetzt kommt. Und der Vorspann, ich sage euch dann hinterher, ihr müsst jetzt nochmal die richtigen Antworten finden, die ich schon im Kopf habe und dann habt ihr gut gelernt, sondern ich bin selber schweißgebadet, weil ich denke, oh Gott, das kann jetzt auch auf volle Kanne hin losgehen. Vielleicht kriege ich selber gar nichts rausgetrieben, vielleicht habe ich gar keine Idee dazu und stehe hier sprachlos rum und kann dir nur auf diese Weise mitteilen, das ist hier völlig gescheitert. Dieser Versuch, was anderes zu sehen als eine Urteilsstruktur. Und dann habe ich einfach selber geguckt, okay, was ist, was passiert jetzt?
Dann habe ich den Vorspann gezeigt, zwei Minuten oder so, und dann kam nichts. Und dann okay, was sehen Sie? Nix. Ja, Texte, zittriges Bild, nix. Okay, ein bisschen mehr kann man schon sehen, können wir machen. Wir gucken noch mal, wir gucken noch mal und noch mal und noch mal und beim zehnten Mal gucken. Dann waren die schon.
Also erst haben sie zwischendurch, haben sie gestöhnt und dann haben wir aber gemeinsam angefangen, diesen Vorspann zu sehen. Und ich muss wirklich sagen, mit 1000 Augen plötzlich waren wir alle ein großes, vieläugiger Polyp. Und wir haben mit gemeinsamen Augen diesen Film, diesen Vorspann plötzlich zu einer endlosreichen audiovisuellen Matrix machen können, die ich auch ohne dieses Experiment für mich selber niemals so hätte auf dem Reflexionsniveau hätte durchdringen können, wie wir das dann gemeinsam geschafft haben. Das war fantastisch, das war krimireif, das ist ein Highlight.
Simon Frisch
Also ich erlebe es förmlich hier jetzt und ich kenne solche Situationen, also gerade wie du es beschrieben hast, auch diese sich aussetzen und jetzt mal einfach, ich habe es nicht geplant, ich weiß nicht, nicht vorstrukturiert, finde ich jetzt auch interessant zur Unterrichtsplanung, weil in philosophischer Ästhetik kann es ja nicht. Also da mache ich jetzt das, soll das rauskommen, Haken dran, mache ich das, soll das rauskommen, haken dran und dann macht man das und die Studierenden sollen dann hupfen. Dann ist man ja auf dem Weg zu sagen, es sind lauter Päckchen, die ihr nach Hause mitnehmen könnt. Aber das ist so merkwürdig bei diesen, also bei vielen, bei vielen, das gilt nicht nur für geisteswissenschaftliche Formate, sondern überhaupt bei universitärer Lehre eigentlich in den vielen Gespräch, die ich führe, gibt es immer wieder diesen Punkt, wo die Leute eigentlich wird es immer dann spannend, wenn ich selber noch gar nicht weiß, was jetzt da rauskommt. Man ist überhaupt nicht diese Lehrperson, die da so übergeordnet und so und so. So wird es ja oft beschrieben und auch verlangt und irgendwie auch evaluiert und nachgefragt. Aber dieses ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, die Unvorhersehbarkeit in dieser Beziehungsbegegnung der Lehre, die macht irgendwie plötzlich Türen auf.
Christiane Voss
Genau. Also ich würde sagen, für mich ist das Talking about Magie. Das sind die magic moments of teaching und learning, was ja dann zusammenfällt. Und zwar nicht nur im leeren Gerede von, also ich sag die Lehrende muss auch lernen. Das sind ja Kalauer, die kannst du leicht sagen, aber was heißt das eigentlich? Und sich nämlich selber dem auszusetzen, auf die Gefahr hin nicht zu wissen, wie es weitergeht, das musst du erst mal riskieren.
Das ist ja gar nicht so easy. Die ganze Zeit auch beurteilt wird, danach ist man kompetent, bringt man was rüber, lernt man bei der was. Also es wird immer dann trotzdem mit Beurteilung durchgelaufen, aber das alles mal für Momente auszusetzen, Szenen von Intensität, der wechselseitigen Einlassung auf was auch immer. Das kann auch ein Text sein, philosophischer Text. Ich sehe es mittlerweile so, dass ich von der Filmbetrachtung, also von solchen Experimenten, die ich mit Filmen vor allem gemacht habe, wieder zurückgehe auf die Texte und philosophische Texte jetzt auch anders mit den Studierenden lese, die ja oft Wieso bitte sollen wir jetzt philosophischen Text lesen? Wir studieren da gar nicht Philosophie, wir studieren Medienwissenschaft, wir haben extra Philosophie nicht studiert, wir wollen das nicht. Das sind unverständliche Texte.
Simon Frisch
Extra nicht, extra nicht.
Christiane Voss
Manche sagen extra nicht. Sie wissen ja gar nicht, wo die Philosophie aufhört und die Medienwissenschaft anfängt. Und abgesehen davon, die meisten medienwissenschaftlichen Theorien basieren auf Philosophen. Besser ist, sie kennen die, damit sie sich nicht mal erzählen lassen müssen, was alles angeblich neu ist und außerdem so oder so oder so. Dann wird es ja mal Zeit, dass sie den philosophischen Text kennenlernen. Und dann ist es da. Genauso wie mit dem Film.
Wenn man zum Beispiel einen ersten Satz Jetzt lese ich gerade diesen fürchterlichen Carl Schmitt auch zum ersten Mal für mich mühsam, ich kann dessen Texte schwer verknusen. Also auch stilistisch finde ich den irgendwie mühsam. Ich empfinde den auch stilistisch als gewaltförmigen Autor. Das kann man jetzt wieder ideologisch finden. Ist es auch, aber ist jetzt auch egal. Mein Punkt ist jetzt, da ich mich ja selber abhängen muss, ist jetzt meine ideologische Perspektive auf Carl Schmitt uninteressant. Wenn der erste Satz zum Beispiel der Staat ist das politische Punkt, das ist der erste Satz, dann ist das ja erstmal ein Satz, der eigentlich ein Knaller ist.
Der enthält ja schon hunderttausend Fragen und auch Bestimmungen. Und dann kann man diesen Satz zum Beispiel erstmal vorlesen, nachklingen lassen, noch mal vorlesen, noch mal vorlesen und dann was kann das eigentlich bedeuten? Heißt das umgekehrt auch das Politische ist der Staat, ist nur das Staatliches politisch? Also wir hatten gestern die Debatte Bionau und mit einem Satz schon eigentlich einen Assoziationsraum eröffnet. Und wenn man den jetzt mit dem zweiten Satz kombiniert, dann kann man zum Beispiel überlegen, was passiert zwischen diesen beiden Sätzen. Die haben immer noch einen Hallo Raum, der ist immer größer als das, was da steht. Und dieser Hallo Raum besteht nicht nur darin, dass der Text immer besonders tief ist, sondern ich glaube, der Hallo Raum eröffnet sich dann als lebendiger Raum für meinen Eintrag meiner Assoziation meines Denkens.
Also je meines Denkens. Ich glaube, ich verstehe das jetzt, wenn Close Reading ist meine bevorzugte Lehrmethode, würde ich sagen, da lerne ich am meisten, da breche ich mich neu auf. Dann lerne ich sogar Texte kennen, die ich eigentlich nicht leiden kann, wie zum Beispiel, ich lese auch Texte, die ich nicht leiden kann.
Simon Frisch
Ja, das ist interessant. Genau, dass man eben nicht hier dem Text dessen Meinung bin ich. Ich will, dass ihr auch dieser Meinung werdet.
Christiane Voss
Das ist ja schon wieder vorschriftlich. Das wäre diesmal genau. Vielleicht muss man das mal prinzipiell sagen. Meine Auffassungslehrende ist nicht die, dass ich denen meine Präferenzen mitteile und ihnen Das ist richtig, das ist falsch, sondern ganz im Gegenteil, Sie sollen bitte ihr Urteil dann auch selber bilden, aber nicht das Urteil, also die Urteilsförmigkeit, die sie mitbringen, die Vorurteile, sie davon abhalten, sich überhaupt erst einmal ein Spektrum zu erarbeiten und sich für ein Spektrum von ganz verschiedenen Angeboten von Text und Kunstwerken zu öffnen oder Medien zu öffnen, sondern dass sie erstmal sagen, das Spektrum sich alles anschauen, auch eben immer unter Aussetzung ihres Urteils und dann ihre Präferenzen auszubilden, die ja dann völlig begründet sind. Manche haben dann eben mehr Bezug zu Filmen als zur Philosophie, manche mehr zu was ich Theater als zu Fotografie und andere wiederum mehr zu YouTube oder zu, keine Ahnung, soziale Medien, je nachdem, was sie dann das ist ja dann eine Entwicklung, wo man dann noch mehr Sympathien hat, noch mehr Neugierden aufbringt, aber die nicht immer schon vorauszusetzen, nicht immer schon zu sagen, ich möchte gerne was über soziale Medien machen, weil man halt Privatperson immer schon involviert ist, sondern auch mal davon wegzugehen und überhaupt die Medienfrage mal da zu stellen, wo man eben nicht hingeht. Und das kann eben auch im philosophischen Text sein. Auch der philosophische Text ist ein Medium, das seine eigene Gesetzmäßigkeit mit sich bringt und auch einen eigenen Ton, eine eigene Sprache fasst und sich auf die einzulassen. Und da geht es nicht darum, alles wissen zu müssen über einen Text und hinterher überall alles über ihn sagen zu können, sondern sich von dem so berühren zu lassen.
Das klingt vielleicht kitschig, aber ich meine, gibt es im Sinne auch der Aufregung, sich so affizieren und berühren zu lassen, dass man tatsächlich bereit ist, sympathetisch mitzuspielen, also Empathie aufzubringen, das meine ich mit Respekt. Empathie aufzubringen für eine Arbeit, die jemand geleistet hat und erstmal die Frage zuzulassen, was will der Text eigentlich? Woran arbeitet er sich eigentlich ab? Was ist seine Frage?
Worauf gibt er eine Antwort? Und dieses Spiel von Frage Antwort, die der Text sich selber spielt, mit sich selber spielt, das Spiel da einzutreten und das Kollektiv durch gemeinsames, also durch gemeinsame Assoziationen zu bereichern, das ist eigentlich für meine Begriffe eine gelungene Szene, eine gelungene Lehrszene.
Simon Frisch
Und jetzt ist interessant, dass wir gerade aus dem Film, oder du hast das jetzt eigentlich gemacht, aus dem Film wieder zu dem philosophischen Text kommst und jetzt dem philosophischen Text, aber wenn ich das richtig verstanden habe, begegnest wie dem Film, also den Vorspann, den ersten Satz so oft lesen, bis man jetzt kann ich anfangen, was dazu zu sagen. Vielleicht ist es ja manchmal schwer, also fast in so eine Bewegung zu geraten, in eine Geschmeidigkeit irgendwie, weiß ich nicht, auf Frequenz kommen oder so, das könnte man sogar so sagen. Und jetzt sagst du, du liest jetzt Carl Schmitt. Also da könnte man ja auch, ich meine, das ist ja nun, der gilt ja als politisch und so und so, aber ne, wir schauen jetzt mal, wir lesen gar nicht den Carl Schmitt, weil der ist ja nicht da, aber wir lesen diesen Text da von ihm oder der von ihm eben, also autorschaftenmässig organisiert ist. Und dann schauen wir dem Text bei der Arbeit zu. So, das habe ich jetzt gerade, wie du es beschrieben hast, ist genau dieser Satz macht was, der zweite fügt was hinzu. Genau wie man dem Film bei der Arbeit zuguckt.
Oder Bauarbeitern bei der Baustelle oder Zoopflegerinnen und Zoopflegern beim Füttern und so weiter. Man schaut ihnen zu.
Christiane Voss
Genau.
Simon Frisch
Und diese Haltung finde ich ganz interessant des Zuschauens, ohne in die alte Kontemplation zu kommen, sondern so ein kritisch urteilendes Zuschauen, was dauernd dann plötzlich in so ein Hin und Her, das heißt dann Respekt. Also auch immer irgendwie einen Rückblick oder Rückschau in Hinsicht auch oder Rücksicht auch, das heißt ja Respekt. Und dann hast du gesagt berühren. Und da haben wir immer Angst vor diesem, vor diesem. Und gleichzeitig sind unsere Sinne ja irgendwie alles Tastorgane. Wir haben alle irgendwann trifft irgendeine Welle oder irgendwas auf Haut und dann erst können wir es verarbeiten. Ohr und so weiter ist auch Geschmack immer wenn wir nicht tasten, haben wir nicht.
Also insofern, wenn das Berühren uns ein bisschen zu, dann können wir auch sagen tasten. Weil mir dazu was einfällt, dieser Willem Otten heißt, der den Lorenz Engell immer aufruft, Das imaginäre Museum, glaube ich, ne? Das ist mal roh, aber sowas ähnliches. Unsichtbare Museum, glaube ich, oder das Museum des Lichts, ich weiß es nicht mehr genau. Willem Otten jedenfalls ein Filmkritiker aus Holland, auf den Lorenz Engell mal gestoßen ist, den ich aus einer Vorlesung von ihm kenne, aus einer theologischen Vorlesung, die wir gemeinsam gemacht haben. Und der sagt, der hat eine ganz interessante Stelle, wo man auch sagen boah, ist das esoterisch, das geht mir total auf die Nerven. Aber er sagt, die Bilder tasten mich ab.
Und da ist diese Inspiration, das mit dem Finden dann weiterzuentwickeln. Also wo dann Lesen auf einmal eine, also das ist ja schnell gesagt, Lesen ist nicht nur Rezeption, Leser, Produktive und so weiter. Aber das noch mal ernst zu nehmen, zu sagen, dass man wirklich eigentlich nur dann und nur dort liest, wo man im Grunde aktiv, also wo man eigentlich schreibt. Also ich schreibe ja den Text, den ich lese.
Christiane Voss
Super. Also ja, ganz exakt genauso. Das finde ich schön. Lesen tastet mich, das Lesen tastet mich ab und der Text tastet mich ab. Und umgekehrt gibt es sozusagen eine wechselseitige Abtastung. Ich würde die Reziprozität immer hervorheben, dieses Vor- und Zurückgehen. Wenn ich jetzt affirmativ einen Satz lese, dann lese ich ihn ja auch mit einer anderen Haltung, als wenn ich ihn kritisch lese. Das heißt, das, was mich da abtastet, muss ich so zulassen, dass ich erstmal affirmativ daran gehe, damit ich überhaupt ein Verständnis generieren kann und überhaupt eine Erfahrung zulasse.
Und dann wäre der zweite Schritt, auch da ist eine Wiederholung relevant, das nochmal zu betrachten und dann vielleicht mit einer kritischen Perspektive da durchzugehen. Die kritische Perspektive wäre aber auch nicht einfach nur eine Außenseiterperspektive, sondern die basiert und nimmt mit die Einlassung auf einen Text, auch auf einen, der dann später vielleicht unsympathisch ist oder vielleicht problematische Implikationen hat, politisch fragwürdig und so weiter oder ästhetisch schwach oder inhaltlich banal und was immer man dann urteilsmäßig kritisch sagen kann. Aber dass man selbst dann, wenn man diese Urteile fällt, das nicht einfach von außen tut, sondern gewissermaßen aus einem gelebten Kontakt heraus. Weil ich glaube, nur dann versteht man, dass weder Texte noch Filme noch Kunstwerke sind einfach tote Artefakte. Die sind dafür da und haben deshalb Sinn oder überhaupt Kraft, weil sie sagen, eben weil sie in der Lage sind, weitere andere Kräfte des Denkens und des Fühlens zu aktivieren und das so zu tun, dass man mit ihrer Hilfe neue Perspektiven auf die Welt, würde ich sagen, gewinnen kann und damit eigentlich seine Art von Vieläugigkeit für sich selber gewinnen kann. Ich kann auch durch die Brille von Carl Schmitt Dinge anders sehen, als ich sie jemals als Christiane Voss sehen würde oder könnte oder auch nur wollte. Aber das überhaupt mal mitzusehen, mir diese Brille mal aufzuziehen, mich darauf einzulassen, aus diesen Augen zu schauen, also nicht nur mich von denen irgendwie abtasten zu lassen aus der Sicherheitsdistanz, sondern vielleicht sogar mit in seine Augen hineinzurutschen und aus dieser Perspektive zu betrachten.
Also eine Pseudoidentifikation so weit vorzunehmen, dass ich tatsächlich versuche, über eine Einfühlung die Differenz zwischen diesem Autor und mir kurzfristig mal auszusetzen, um mich diesem Fluss eines Gedanken zu überlassen, der nicht meiner ist. Also diese Selbstentfremdung sozusagen produktiv zuzulassen, das ist eigentlich die Herausforderung, auch das Schwierige, das Ermüdende zum Teil auch. Ich verstehe auch jeder oh nein, ich kann das ja grausam, möchte ich aber nicht langweilig. Die Sprachform ist mir fremd und ach ne, sich dieser Fremdheit der anderen Sprache aus dem anderen Jahrhundert zum Beispiel zu überlassen. Das ist einfach mühsam. Hier ist nichts vertraut, ich kann mich nirgendwo ausruhen. Kein Wort ist so geschrieben, wie ich es schreiben würde.
Die Sätze sind zu lang und so weiter. Fremdworte, Referenzen, die ich nicht kenne. Aber dieses fremde Land zu betreten und in dieser Fremde erstmal eine Zeit lang auszuhalten als Reisende und ohne die Angst haben zu müssen, dass man hier verhaftet wird oder verpflichtet wird, jetzt auch immer nur so zu schreiben, immer nur so zu lesen, immer nur so zu denken. Nein, dass man das Temporäre durchaus auch kraftvoll stark machen kann, zu sagen, sich mal auf eine Texterfahrung einzulassen, die man vielleicht nie wiederholt, lohnt sich trotzdem, weil was dann passiert, was damit passiert, kannst du nirgendwo anders erleben. Nur da, wo du eine angstfreie Reise machen darfst. Und das ist auch Seminar, so verstehe ich Seminare, das ist auch ein Reisebus des Lebens, Reisebus des Lernens, Reisebus des Denkens und des Fühlens, die auch zusammengehören. Das ist, glaube ich, geht nicht darum, ein abgespaltenes Wissen, rein kognitives Verständnis von Wissen voranzutreiben.
Simon Frisch
Das finde ich sehr interessant, dass du das sagst.
Christiane Voss
Verkörperung, genau, idealerweise mit Begeisterung und Anstrengung, Schweiß und Blut und Tränen, vielleicht sogar durch Überwindung und Arbeitsgefühl tatsächlich sich da einzulassen und dann durchaus fast eine verkörpernde, also eine Körpererfahrung zu machen.
Simon Frisch
In der Tat, ich finde es zusammen, was du jetzt, also die Teile negativer Definition oder Charakterisierung, die du gerade aufgerufen hast, also es ist eben nicht spaßig, ich kann nichts damit anfangen, es ist nicht einfach oder so, oder es ist mühsam und so weiter, Es ist langweilig und ich musste jetzt gerade an was denken. Und das war interessant. Ein anderes Gespräch, was ich im Podcast geführt habe mit Luise Göbel von den Baustoffingenieuren. Und komischerweise hat das gerade ganz viel miteinander zu tun, weil wir es hier mit Materialien und Materialitäten zu tun haben und die Baustoffingenieure und die machen was ganz selbstverständlich und da würde man es ja auch erwarten und man würde nicht, so habe ich mir Baustoffingenieurwissenschaften nie vorgestellt oder Ingenieurswissenschaft plural oder nicht. Bei Medienwissenschaften denkt man ja doch man bekommt eine deutend meinungsorientierte und so weiter und so weiter Anleitung und man hat eine Erwartung, die anders ist als die bei den Baustoffingenieuren. Jetzt finde ich interessant, dass wenn man dasselbe bei den, also insbesondere, ich glaube, das erlebe ich besonders stark in Weimar, wenn man also mit Texten, Filmen, Musikstücken usw. So umgeht wie Baustoffingenieure mit ihren Materialien, dann haben wir auf einmal ganz viel miteinander zu tun, weil die wollen ja nicht wissen, was der Baustoff bedeutet, sondern sie wollen seine Kräfte kennenlernen, sie untersuchen sein Verhalten, sie schauen, was man damit machen kann und was man nicht damit machen kann, wo er Schaden anrichtet, wo er Nutzen anrichtet und so weiter und so weiter.
Eigentlich habe ich dich so verstanden, dass der Ansatz der Umgangsweise mit Texten in der Medienwissenschaft, hier in der Medienkultur, also in unseren medienwissenschaftlichen Studiengängen ganz ähnlich angelegt ist.
Christiane Voss
Das ist eine schöne Brücke, finde ich überraschend. Also ich glaube, was ich daran schön finde, ist der Gedanke, dass man die Materialhaftigkeit auch von Text, vermeintlich abstrakten Theorien ernst nimmt. Diese Landschaftlichkeit und das Plastische, was du eben auch beschrieben hast. Etwas tastet mich ab, ich taste etwas ab. Das ist ja eine Plastizität, von der man denkt, das wäre was nur für dreidimensionale Dinge, für Material, Baustoffe, Skulpturen. Und das ist aber gar nicht so, dass Texte einfach nur zweidimensionale Gebilde sind, sondern die sind eben genau dreidimensional oder sollten es werden mit allen dazugehörigen affektiven Volumina, die das bekommen. Sie sollten eigentlich angedickt werden mit Leben und dann sind die ja überhaupt sprechend, dann wären die ja wirklich interessant.
Simon Frisch
Und das sind ja auch Baustoffe.
Christiane Voss
Absolut. Den Unterschied würde ich vielleicht doch zum Ingenieurswesen herausstellen. Ich glaube, das ist auch das Schwierige beim Lehren von Philosophie oder das Schwierige des Beibringens philosophischer Perspektiven, dass man da in gewisser Weise auf diesen Nutzen, auf die Was kann ich damit machen im engeren Sinne eigentlich radikal verzichtet. Und ich glaube, das ist das Allerschwerste, weil jetzt könnte man so ganz knapp sagen, weil alle im Kapitalismus groß geworden sind, können sie nicht anders als nutzorientiert denken oder weil sie homo oeconomicus sind, können sie nicht anders als nutzorientiert denken. Nichts gegen nutzerorientiertes Denken, denn wenn es das nicht gäbe, gäbe es keine Brücken, kein nix. Aber dass man auch noch mal eine andere Selbstzweckhaftigkeit noch mal kennenlernt, die es nicht darin besteht, la polar zu betreiben oder Theorie der Theorie willen zu betreiben, aber sozusagen eine Form von Anstrengung oder auch von Materialität, kann man jetzt sagen, von Textualität kennenzulernen, die nicht immer schon von sich aus klarer Weise zu verbauen ist, wo man immer nicht sofort ein Haus drauf bauen kann oder eine Straße oder eine Brücke, sondern wo man vielleicht nichts Sichtbares draus bauen kann, sondern dass er dazu beiträgt, mich umzubauen, mich so umzubauen, dass ich auch mal sagen ohne Straßen reisen kann, mal ohne Brücken, mal ohne Flugzeug fliegen kann, dass ich gewissermaßen vielleicht eine schwebende Form von Existenzvollzug auch noch mitlerne, die mich immer wieder auch ablöst von den Fixierungen auf eine Pragmatik des Umsetzens von etwas in etwas Konkretes.
Simon Frisch
Also ich, ich wende das auch manchmal dann zurück. Ich würde jetzt mal den Vorschlag könnte man das nicht auch auf die Baustoffwissenschaften auch zurück, also auf die ganze scheinbar nützlichen Dinge, die wir da machen oder auf die ich lasse mal scheinbar weg, das ist ja schon eine Bewertung auf die Dinge, die wir dem Nützlichen zuschlagen. Die werden ja immer verkoppelt mit einem Kriterium in Hinsicht auf was sie einen Nutzen haben. Und ich versuche das manchmal von dem Kriterium dann umzudrehen und vielleicht macht das Fliegen ja auch gar nicht viel mehr Sinn als das Lesen oder das Brückenbauen und über Brücken gehen und so weiter. Also vielleicht sind es auch in sich selbst zurückgezogene Sinne und Zwecke, die zu einer Praxis in einem bestimmten Weltvollzug führen, den wir dann eben realisieren und die einen eben in der Lektüre vom Verhalten von Baustoffen oder Materialien im engeren Sinne, aber im Grunde eigentlich mehr oder weniger verbringen wir, und da wären wir wieder auch bei der Ästhetik, unsere Zeit damit unsere Sinne zu beschäftigen.
Christiane Voss
OK, das ist auch wieder schön, finde ich. Und ich finde das auch einen guten Hinweis oder eine gute Vorlage dafür, vielleicht noch mal was über Ästhetik zu sagen, weil man Ästhetik zu eng gerippt versteht, wenn man denkt, das wäre die Theorie der Kunst oder der Künste oder die Philosophie der Künste. Und was du gerade beschreibst, ist ja eigentlich eine Ästhetisierung der Lebenswelt. Die Brücke, die jetzt für was immer mit einem spezifischen Nutzen verhaftet, einen Haken bekommen hat, gemacht, getan, fertig, jetzt funktional, dass man selbst auch so eine pragmatisierte Brücke ganz, ganz anders lesen und sehen kann und ihr Dimensionen ablesen kann, die jetzt da in dieser Nutzen, Konzentration und Fixierung gar nicht vorkommt. Und das wäre dann aber eben ein Blick des Ästhetischen, der selber nicht nur Ästhetisches findet, wo es schon als Ästhetisches auftritt, sondern wo der Blick selber geschult am Ankunftswerken ästhetisierend wirken kann, sodass die Welt schön werden kann. Da, wo es um Schönheit gar nicht geht, mit dem Industriezentrum mitten vor dem Schornstein, auf dem Bürgersteig, auf der Brücke, auf der Straße, vor Betonwand oder Nagel. Ich glaube, das meine ich eben mit dem Gewinn der Polyperspektivität, wenn man lernt im Studium, zumindest da, wo es geisteswissenschaftlich im weiteren Sinne zugeht, die Perspektiven ernst zu nehmen als Steuerungsfiguren, die mir jeweils eine spezifische Welt eröffnen.
Heidegger sagt, wenn ich mit dem Hammer denke, wird mir die ganze Welt zum Nagel. Und so ist es ja mit allen Perspektiven. Wenn ich rein ingenieurstechnisch denke, da wird mir alles zum technischen Gerät. Wenn ich, was ich als, jetzt kannst du das beliebig machen, wenn ich als Romantiker durch die Gegend laufe, wird mir alles zu Liebe und Hass. Wenn ich als Krieger durch die Gegend laufe, wird mir alles zum Feind oder Freund und so weiter. Und man kann jetzt auch sagen, wenn ich mit einer Perspektive, also eine Perspektive erlernt habe, erworben habe anhand von Kunstwerken, die das Schöne verhandeln und das Schöne und das Hässliche verhandeln, mit der Perspektive eine Gewohnheit ausbilden kann, die mir ermöglicht, das auch außerhalb der Kunst zu applizieren, dann gewinne ich eine Welt, die ich nicht hätte, wenn ich nicht diesen Durchgang durch die Ästhetik gemacht hätte.
Simon Frisch
Ich habe dann eine Welt, die ich nicht hätte. Das ist natürlich ein sehr schönes. Kannst du mal mir kurz einen Blick auf die Uhr leihen? Ich habe leider mal vergessen, mein kurz unterbrechen. Ich bin in der Lage, eine Uhrzeit mir anzugucken. Wir haben, sagen wir, Wir haben noch 5 Minuten, setze ich jetzt mal, jetzt haben wir sehr viel über Erfordernisse und wir haben natürlich schon, und du hast auch ein konkretes Beispiel aus dem Unterricht gebracht. Im Hintergrund ist bei mir jetzt doch immer wieder die Frage gelaufen, es läuft auch die ganze Zeit immer im Unterrichten.
Es gibt aber auch Dinge, ich würde das so ausdrücken, die wir kennen müssen, um in so eine ästhetische Bewegung zu kommen. Also wir müssen bestimmte Texte auch kennen und nicht nur den Lesevorgang betreiben. Wie gehst du damit um?
Christiane Voss
Erstmal indem ich das Versprechen abgebe, dass wenn Sie die Arbeit auf sich nehmen, Texte kennenzulernen, die wiederum neue Perspektiven sind auf Film zum Beispiel oder auf Philosophie oder auf etwas anderes, dass sie dann danach einen reicheren Blick auf eben diese Gegenstände haben. Also ich treffe zum Beispiel auf Studierende, die schon 1000 Filme gesehen haben oder Millionen Filme gesehen haben und sagen von hören Sie mal, ich kenne schon die alle 40er Jahre international das und das und das, ich kenne alles schon, ich brauche jetzt nur noch ein bisschen mehr aus der Ecke spanische Filme oder so, Dann kann ich sagen, Sie können noch Filme gucken. Sie werden die immer mit den Perspektiven sehen, die Sie jetzt schon haben. Das heißt, letztlich sehen Sie immer denselben Film. Und wenn wir jetzt aber die Theorie anschauen und sich anschauen, wie Film gedacht worden ist, durch wie viele verschiedene Perspektiven reflektiert schon die Arbeit geleistet worden ist von anderen, die schon mal ihre Perspektiven selber in Frage gestellt haben, und bereichert haben mit Ideen, dann, wenn wir uns dieses Spektrum angucken, dann erleben Sie, da können Sie sich den beliebtesten Film, den Sie schon hunderttausend Mal gesehen haben, noch mal neu anschauen. Sie werden einen völlig neuen Film sehen, Sie werden ab jetzt neue Aspekte des Films sehen, Sie werden Film neu sehen. Und das heißt, wenn Sie also interessiert, Filme überhaupt noch mal neu sehen zu können, nochmal eine Erfahrung zu machen mit Filmen und nicht einfach nur abzuhaken, den 300-millionsten Film gesehen zu haben, dann brauchen wir hier Theorie.
Und das heißt eine reflektierte Umgangsweise mit Perspektiven, die das verschriftlicht haben und einmal durch die Arbeit durchgegangen sind, die dann eben das Handwerk der Theorie auch ist, das tatsächlich so zu verschriftlichen, dass nochmal die Übersetzung möglich wird, dann doch Übersetzung vom Text wiederum zurück in eine Assoziationsform, die ich mitnehmen kann, um im Kino daraus eine Sichtweise zu machen. Das ist sozusagen das Arbeitsangebot, das Theorie bietet. Und das heißt, ich würde Sie immer damit locken zu sagen, wenn Sie wirklich das meinen, was Sie sagen, dass Sie Filme gucken, dann kann ich Ihnen sagen, das muss man genauso lernen wie alles andere im Leben auch. Und wenn Sie einfach nur gucken, dann gucken Sie keine Filme, jemals sehen Sie keine. Und wenn Sie sehen lernen wollen, dann zwischen gucken und sehen ist der Unterschied, dann braucht man dazu auch eine Theorie, weil die Theorie die Perspektive voreinstellt, in der Sie Dinge auswerten. Und es gibt keine perspektivfreie Sichtweise auf die Dinge und die reflektiert zu lernen. Das ist das, womit man einen Umgang hier lernt und damit auch ein kritisches Verhältnis zu den eigenen Vorurteilen, Voreinstellungen im wahrsten Sinne des Wortes.
Und das ist eigentlich etwas, was Sie erstmal überrascht, aber dann glaube ich auch tatsächlich, was funktioniert ja auch, Man kann es ja auch dann einfach empirisch beweisen. Lese einen Text von Benjamin zum Film und du hast einen völlig anderen Blick. Oder lies irgendeinen filmtheoretischen Film, eine Theorie. Nimm den Kognitivisten, dann plötzlich wird die Kamera zu einem ganz lebendigen Objekt, was du früher oder zu einem Mitstreiter deiner Perspektivvielfalt. Plötzlich siehst du Dinge, die du einfach nicht siehst, gesehen hättest vorher. Und das ist eine Erfahrung, die man beim Film wunderbar machen kann, vielleicht besser als in anderen Szenen, besser als in anderen medialen Szenen. Deshalb ist der Film für mich als Denkfigur auch so inspirierend für auch Text.
Umgangsweise mit Text, wenn man da zum Teil versuchen kann, von zu lernen, wie man auf einen Text selber eine Reflexionsversion einnehmen kann, die macht, dass ein Text auch immer wieder vielsprachig ist, also plötzlich viele Bedeutungen freispielt, die ich auf den ersten Blick gar nicht so zugesprochen hätte, weil ich immer nur mit einer Perspektive da rangehe.
Simon Frisch
Also das passt sehr gut zu, also vor gar nicht allzu langer Zeit, vielleicht vor einem Jahr oder so, was habe ich zum ersten Mal gedacht, eigentlich sind wir gar nicht so wichtig. Wir bringen die Texte ein, aber die Welt ist eigentlich, die müsst ihr selber entdecken. Wir bringen nicht die Welt ins Klassenzimmer, jetzt nicht den ganzen Hitchcock, den ganzen Truffaut, die ganze Chantal Ackermann, sondern da müsst ihr selber drauf kommen. Und alles, was du jetzt gerade gesagt hast, passt eigentlich zu dem, was wir so im vorderen Mittelteil des Gesprächs gesagt haben. Wenn ich sehen gelernt habe, dann findet mich vielleicht auch der Film und dann finden mich Filme, die mich bisher noch gar nicht gefunden haben. Und auf einmal gehen neue Welten auf. Das hast du vorhin auch gesagt. Und da wären wir eigentlich in der Lehre, eigentlich über eine Disziplin hinaus, wirklich wieder in einem universitären Kontext, in einem ganz klassischen, wo man das sind nicht einfach nur Kompetenzen, sondern wirklich Weltverhältnisse.
Wer an die Universität kommt, sucht nach einem Weltverhältnis, das er hier im Laufe seines Lebens oder in der Bewegung seines Lebens, wir haben ja die verschiedenen Praktiken auch vorhin angesprochen, dann vollziehen kann oder vollziehen will.
Christiane Voss
Ganz genau. Und was ich daran eben so toll finde, Medienwissenschaft, um einen Werbetext zur Medienwissenschaft als Philosophin zu singen, ist, weil ich da die Erfahrung überraschenderweise gemacht habe, dass man diese Welterfahrung, von der ich glaubte, das ist ein Privileg der Philosophie, die dort zu machen oder mit der Philosophie zu machen, nur dort zu machen, diese philosophischen Momente eigentlich in allen Medien zu finden sind. Man kann das mit der Fotografie erleben, man kann das durch die Brille des Films erleben, man kann durch die Brille des Tanzes und des Theaters erleben. Und die Medienwissenschaft ermöglicht uns eigentlich, die Erfahrung zu machen, dass wir mit den methodischen Analysen, die wir jeweils pro Medium anwenden müssen, um dem gerecht zu werden, da etwas zugleich mitnehmen für ein anderes Medium, für andere Formen des Zugangs zur Welt. Und dass es eigentlich in all diesen Medien immer um Zugänge zur Welt geht. Und in diesem Sinne haben alle Medien auch einen philosophischen Kern oder können einen philosophischen Kern zugesprochen bekommen, wenn man denn diese Brille aufsetzt, die wiederum eine ist, die man lernen muss.
Simon Frisch
Ganz fantastisch. Liebe Christiane, ich danke dir sehr für das Gespräch.
Christiane Voss
Ich danke dir für das tolle Gespräch. Danke.
Neuer Kommentar