Bonus Ep. – Gespräch mit Katrin Richter auf der Leipziger Buchmesse
Shownotes
Katrin Richter berichtet von ihrer Arbeit an Else's Story und ihrem Rechercheprozess zur ersten Börsenmaklerin der Welt. Mit Blick auf unser Thema „Neues Lesen – Neues Schreiben" wollen wir erfahren, wie die Autorin Quellen neu gelesen und damit Elses Geschichte neu be- und geschrieben hat.
„Diese Geschichte ist eine wahre Geschichte. Sie erzählt von Else Goldschmidt, der ersten Börsenmaklerin der Welt. 1898 in Berlin geboren, stirbt sie 1975 in Johannesburg. Zwischen beiden Ereignissen liegen siebenundsiebzig Jahre eines außergewöhnlichen Lebens. Durch einen Zufallsfund kam ihre Geschichte ans Tageslicht, die 2023 erstmals veröffentlicht wurde.“
Katrin Richter studierte Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2020 wurde sie mit einer Arbeit über die Wissensgeschichte der Berliner Börse promoviert. Sie arbeitet an der UB Weimar und wirkt bei zahlreichen Bildungsprojekten mit. Das Gespräch wurde am 22. März 2024 bei der Leipziger Buchmesse im Rahmen der Reihe „Neues Lesen, Neues Schreiben“ für den Podcast „Zwischen Magie und Handwerk“ der Bauhaus-Universität Weimar aufgezeichnet.
Unser Host: Dr. Simon Frisch ist Vizepräsident für Lehre und Lernen an der Bauhaus-Universität Weimar und er leitet die Dozentur für Film- und Medienwissenschaft. Er interessiert sich besonders für die spezifische Praxis der Theorie und für die ostasiatischen Wegkünste sowie die Spaziergangswissenschaft als Perspektive und Methode in Lehre und Forschung.
Mitwirkende: Host: Simon Frisch Sound-Design und Schnitt: Jonas Rieger, Laura Khachab, Moritz Wehrmann Musik: Sebastian Lederle Artwork: Andreas Wolter Ton und Technik: Ioannis Oriwol Marketing und Social Media: Claudia Weinreich, Marit Haferkamp Juristische Beratung: Laura Kister Digitale Barrierefreiheit: Christiane Hempel Transkript: Laura Khachab Produktion: Nicole Baron Distribution: Jonas Rieger, Ulfried Hermann
Weiterführende Links: www.uni-weimar.de https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/lehre/
Folgenwebsite: www.uni-weimar.de/lehre-podcast
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BONUS: Zwischen Magie und Handwerk @ Leipziger Buchmesse Bonus-Episode 1
BONUS: Mit Katrin Richter
BONUS: Katrin Richter – KR Simon Frisch – SF
SF: Die Technik ist soweit, wir können starten. Wir sprechen hier auf der Leipziger Buchmesse, eine Sonderausgabe des Podcasts Zwischen Magie und Handwerk. Gespräche über Lehre und Lernen. Aber wir reden hier auf der Buchmesse vor allem über Schreiben und Lesen, vielleicht zentrale Praktiken des Lehren und Lernens. Und wir nehmen diesen Podcast hier auf, auf der Leipziger Buchmesse, weil wir damit Positionen, Neues Lesen - Neues Schreiben, neu schreiben, neues Lesen vertreten sind. Wir haben hier die Game Fabrik, wir haben hier den Illumulus und wir haben hier das crossmediale Bewegtbild und außerdem den Lucia Verlag. Und haben vier Gespräche, verschiedene Perspektiven, fünf Gespräche genau genommen. In diesem Podcast als Sonderausgaben der Leipziger Buchmesse und wir haben außerdem Publikum. Und das Publikum begrüße ich hier, Live Publikum. Deswegen rede ich vielleicht ein bisschen stark manchmal ins Mikrofon, anders als sonst in dem Podcast gewohnt.
SF: Und gleichzeitig bitte ich das Publikum Verständnis und Nachsicht, dass wir hier letztlich eine Aufnahmesituation und gar nicht eine Vortragssituation haben. Wir sind sozusagen in der Podcast-Werkstatt auf offener Bühne. Herzlich willkommen und hören Sie gerne zu, wie wir diesen Podcast aufnehmen.
SF: Es geht heute, ich habe Katrin Richter als Gesprächspartnerin. Es geht heute um Schreiben, aber ich würde doch gerne sagen, Katrin, du hast ein Buch gemacht. Es geht ums Büchermachen und da würde ich mehrere Aspekte mit dir heute, des Büchermachens. Was ist das für eine Praxis, Bücher zu machen?
SF: Aber erstmal herzlich willkommen. Ich freue mich auf das Gespräch mit dir.
KR: Ja, hallo Simon. Ich freue mich auch sehr. Vielleicht auch, um die Situation noch so ein bisschen zu schildern. Also uns herum wirbelt es. Also Personen kommen, gehen, schauen sich die Stände an. Wir sind hier auch in einer ziemlich bewegten Atmosphäre. Umso schöner, dass wir auch wirklich Publikum haben. Ich freue mich da auch sehr, dass Sie, ihr gekommen seid und wir das hier zusammen machen. Also Simon, starten wir!
SF: Hier ist ein Objekt. Ein Buch ist ja immer ein Objekt und gleichzeitig ist es ein Text oder es enthält einen Text. Else’s Story heißt dieses Buch im Titel und im Untertitel Aus dem Leben der ersten Börsenmaklerin der Welt. Also nichts weniger als der ersten Börsenmaklerin der Welt, behandelst du in diesem Buch. Und die Vorgeschichte betitelst du mit der Schrift vom Auffinden einer Geschichte. Und wir haben ja hier und da schon darüber gesprochen. Tatsächlich interessiert mich das, ob du nochmal erzählen kannst, wie man eine Geschichte auffindet, weil das ist ja immer der Anfang des Schreibens überhaupt, bevor man schreibt, muss da irgendwas gefunden werden, was dann ins Schreiben will.
KR: Genau. Also das Auffinden einer Geschichte befasst sich damit, dass letztlich historisches Arbeiten oder überhaupt, Erzählen, immer auch von Zufällen geprägt ist. Ich habe an meiner Dissertation gearbeitet, ich habe die auch mit, die ist über ein Kilo schwer. Sie hat mich zehn Jahre meines Lebens gekostet und von daher ist sie auch besonders zu beachten. Und bei dieser Arbeit, also, ich habe ja natürlich auch noch in der Universität gearbeitet. Aber in meiner Freizeit habe ich erstmals auch die Berliner Börsengeschichte ein ganzes Stück aus medienwissenschaftlicher Perspektive erkundet, erforscht. Und dabei war es natürlich ganz wichtig, auch die Architektur klarzumachen. Ich war dann in vielen Archiven in Berlin und habe einfach geschaut, was gibt es an Materialien. Und da müssen wir immer auch bedenken, dass Berlin natürlich vom Zweiten Weltkrieg massiv betroffen war. Also es gibt ein sehr heterogenes Material oder Materialien. Akten sind nicht mehr auffindbar. Zum Beispiel von der Börsenverwaltung, andere Akten existieren usw. Das war erstmal eine ziemliche Masse, die da auch zu bewältigen war. Und in einem Moment, wo ich einfach dachte, jetzt gehe ich mal kurz, um mich von diesem Aktenstudium auch zu entspannen, gehe ich mal kurz in die Fotosammlung, hatte mich dort auch vorher schon angemeldet und wollte einfach ein paar Architekturfotos finden. Und 2015, als ich das tat, war es noch so, man hatte einen Rechner, wo man eben lokal recherchieren konnte. Also es war nicht alles digital zugänglich. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt auch bei der Erforschung letztlich von Else Goldschmidts Geschichte. Und ich hatte einen Rechner, gab einmal Börse ein und es wurden mir vier, fünf Treffer ausgespuckt. Unter anderem, natürlich Architekturfotografien, aber auch das Bild von Else Goldschmidt. Und ich habe dann versucht, auch mit dem Archivar ins Gespräch zu kommen, zu sagen, gibt es da weitere Dinge? Weil das Bild war einfach auch betitelt als „Else Goldschmidt. Erste Frau an der Berliner Börse. Um 1930“. Mehr Informationen hatte ich dazu nicht.
SF: Es steht hier, das ist in deinem Buch auch drin, das ist sehr, sehr schön. Und wenn man das so blättert, so in dem Vorspann, es ist das zweite Bild, glaube ich, in dem Buch. Das ist als würde es so zwischen den Seiten liegen. Also man sieht vorne eben das Portrait hier von der Frau, Else. Und dann blättert man um und also es würde dann – also dann liegt sozusagen auf der anderen Seite. Und tatsächlich steht da mit Bleistift druntergeschrieben:
„Erste Frau an D.“, also abgekürzt, man spart Grafit, wahrscheinlich – „Berliner Börse.“ Genau wie du sagst. Das ist das Foto, das hast du abgebildet und dann sagst du: Was ist
das? Das Interesse, also das „erste Frau“ war das das, wo du sagst: Warte mal, wieso und wer ist das? Das könnte interessant sein, oder?
KR: Erste Frau, aber auch erster Mensch. Also es gibt verschiedene Aufnahmen von der Berliner Börse um 1900. Das war auch der größte Raum in Berlin selber, der Börsensaal. Also es war, sechstausend Personen passten da rein, also schon auch vom Gebäude sehr, sehr spannend. Und ich hatte nie eine einzelne Person gesehen. Also das war so dieser Moment, wo ich einfach auch gesagt habe, das ist jetzt wirklich ziemlich auratisch, dieses Bild zu entdecken, noch mit einer Frau. Ich kann das auch gleich vielleicht dazusagen.
Frauen war der Börsenhandel, also als Börsenmaklerin, als eigene Firma oder wie auch immer, seit 1685 versagt. Also seit der Gründung der Berliner Börse hatten Frauen dieses Recht nicht. Und das war mir natürlich dann auch noch mal sehr präsent, weil: wie ist das passiert, dass sie tatsächlich an der Börse mit einer eigenen Firma auftreten konnte? Oder, oder, oder. Also viele Fragezeichen.
SF: Dieser kleine Bleistiftsatz hat diese ganzen Fragen in Gang gesetzt. KR: Genau.
SF: Da hat man ja fast schon wie eine erste Kapitelstruktur. Also, das ist ja, das ist – Also, ich kann das zumindest so nachvollziehen: Frage, Frage, Frage, Frage. Wenn ich die beantworte und gründlich, dann wird da ein Buch draus.
KR: Ja, aber es gab eben nur diese eine Frage, aber es gab keine Antworten dazu. SF: Genau.
KR: Also der Archivar hätte mir dann den Tipp gegeben, z.B. im Adressbuch von Berlin nachzuschauen.
SF: Das kommt jetzt in ein Buch. Wir sehen jetzt nicht irgendwie diese Else und ihre Familie, sondern wir sehen Papiere, Akten, Bildschirme, auch nochmal irgendwie aus einer Zeitung:
SF: „Die erste Frau an der Berliner Börse.“ Das heißt, zunächst mal handelt dein Buch davon, von der Suche nach – oder?
KR: Absolut. Also ich musste die Suche 2015 aufgeben. Sofort. Relativ schnell. Also, nach einigen Monaten schnell [lacht] im Vergleich zu der Vorzeit. Alldieweil ich keine Antworten gefunden habe. Ich habe nichts über sie gefunden. Das hat auch Gründe. Da kommen wir gleich auch noch dazu. Aber es gab keine weiteren Nachweise über ihr Leben. Auch im Adressbuch war sie nicht verzeichnet.
SF: Da warst du noch an der Diss dran. Das heißt, du hast gesagt: „Liebe Else, setz dich, ich vergesse dich nicht, ich mache jetzt erstmal hier weiter.“
KR: Ja, genau so, genau so. Sonst hätte ich das nicht abschließen können, ja auch in einer gewissen Zeit dann irgendwann abschließen müssen. Und als ich dann meine Dissertation in Berlin 2017 abgegeben habe, war ich natürlich ziemlich glücklich, habe aber auch überlegt, was habe ich nicht erreicht? Also was ist irgendwie noch offengeblieben?
SF: Und dann ist Else wieder aufgestanden. KR: Sofort.
SF: Und hat gesagt: „Du hast versprochen, mich nicht zu vergessen.“ KR [lacht]: Genau, sofort.
SF: Und dann?
KR: Und dann habe ich das Wagnis gemacht.
SF: Hast du gesagt: „Ich habe nichts gefunden zu dir!“ Oder wie ging es weiter?
KR: Genau. Also ich habe das Wagnis unternommen, habe erneut angefangen zu recherchieren, weil man scheitert ja auch. Also man scheitert ständig, wenn man auch historisch forscht. Weil es gibt nicht auf alles eine Antwort und eins zu eins, sondern man muss sehr, sehr lange suchen und das ist auch extrem ermüdend und auch sehr anstrengend. Und dann irgendwann, ich wollte ich alles schließen, alle Browserfenster und das wirklich beerdigen an der Stelle.
SF: Browserfenster, d.h., du hast zunächst am Bildschirm gesucht. Das war zunächst der Ort deiner Suche und quasi, also nicht am Bildschirm, sondern eben durch verschiedene Datenbanken. Das waren deine ersten Gänge – also die Flure, die du durchstriffen hast, sind im Grunde Datenbankstrukturen gewesen.
KR: Absolut.
SF: Wie suchst du?
KR: Wie ich suche?
SF: Das ist für uns alle interessant, ja, ganz genau. Wenn man nichts findet, wie sucht man?
KR: Man sucht im Fall – also, um das jetzt auch gleich konkret zu machen. SF: Exakt. Großartig.
KR: In dem Fall, Else Goldschmidt, habe ich über 424 Akten durchsucht. Das ist eine Möglichkeit. Man nimmt sich verschiedene Archive vor und schaut: Wo ist es möglich, etwas zu finden? Weil viele der Akten sind halt nach dem Provenienzprinzip aufgestellt. Also sprich, Archive funktionieren ja so: Es gibt verschiedene Institutionen, die legen ihre Akten ab, usw. Also man sortiert nach Herkunft und erst in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gibt es wirklich die Möglichkeiten, auch digital Dinge zu finden. Weil sie anders verzeichnet werden, weil Scans existieren und man dann leichter auch mit QCR-Erkennung usw., also mit anderen oder neuen technischen Möglichkeiten suchen kann. Ansonsten ist es eine extreme Fleißarbeit. Also, Akte für Akte durchzuschauen. Immer mit der Option, also, ich habe in diesen 424 Akten fünf Dokumente gefunden. Also, das ist [lacht] –
SF: Genau.
KR: Das sind aber entscheidende Dokumente, um letztlich auch diese Geschichte schreiben zu können. Weil wenn ich jetzt nur beim Plot wäre, wann ist sie geboren usw., das hätte mich in dem Kontext überhaupt nicht befriedigt. Ich habe auch sehr viel Literatur auch gelesen über Personen, Juden und Jüdinnen, die auch durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrieren mussten, usw. Es gibt ganz viel Literatur, ich nenne sie auch immer so ein bisschen Schicksalsliteratur. Und oft habe ich den Eindruck, dass es mich auch sehr ermüdet, dann in der Geschichte selber. Ja, und wie schaffe ich aber den Sprung.
SF: Ja, genau das finde ich aber wirklich interessant, weil was „ermüdet“, irgendwie? Es gibt ein Interesse, aber dann gibt es einen Weg und der ermüdet, der verbindet sich irgendwie nicht mit dem Interesse. So ein bisschen wie wärmer, kälter, wärmer, kälter. Also ich kenne das ja, aber es ist sicherlich sinnvoll, darüber zu sprechen, ja.
KR: Es sind so viele traurige Geschichten. Es sind einfach so viele traurige Schicksale oder Lebenswege, die nicht fortgeführt werden konnten aufgrund von politischen Änderungen und eben mit dieser Dramatik letztlich auch. Also, dass es wirklich schwierig ist, sich dann immer wieder reinzuvertiefen. Und mit dem Buch kommen wir später ja auch noch drauf zu sprechen - wird auch ein bisschen ein anderer Weg gegangen.
SF: Ja, das scheint mir auch tatsächlich so zu sein, denn wir fangen jetzt erstmal irgendwie mit den Akten an… Rund, also gute 200 Akten durchsuchst du und findest dann fünf. Also ich habe dann eben so ein Bild. Recherche geht eben so. Es ist sortiert nach Provenienz und jetzt musst du diese in diesen Provenienzen zerstreute Else zu Fäden zusammenbringen und da wieder eine eigene Akte draus machen. Das ist ja eigentlich so
SF: der Vorgang. Und dann soll es nicht nur eine Akte werden, sondern eben auch eine Geschichte erzählt. Und da wirst du dann schreibend tätig.
KR: Also wir müssen vielleicht nochmal einen kleinen Schritt zurück gehen. SF: Unbedingt, du musst mir immer sagen, wenn…
KR: Weil ich durch eine Google-Suche auf ein Foto gestoßen bin, was betitelt war mit „Else Hirsch“ und ich dann dachte: Okay, schon wieder eine Else. Und dann aber das Bild ein bisschen größer gezogen habe und gemerkt habe, dass es eben Else Goldschmidt fünfzehn Jahre früher war.
SF: Else Hirsch wird Else Goldschmidt und du erkennst sie anhand des Fotos, da passt was zusammen.
KR: Aber eben als junge Frau. Also, jetzt hier ist sie dreißig, fünfunddreißig Jahre und da war sie aber einfach siebzehn, achtzehn Jahre. Und dadurch, weil dieses Foto in einem Ahnenforschungsportal gelistet war, war ich natürlich voller Glück. Ich habe eine Spur gefunden und habe dann natürlich auch die Person angeschrieben. Die Schwiegertochter von Else Goldschmidt hat dieses Foto gelistet. Ich hätte es bei meinen ersten Recherchen gar nicht finden können. Weil, also, ich hatte ja 2015 gesagt, habe ich seit längerer Zeit versucht, etwas über sie herauszufinden. Das Foto wurde aber erst 2016 eingestellt.
SF: Ach was!
KR: Das heißt, man kann immer bei historischer Forschung wieder von vorne beginnen und man wird immer vielleicht andere Dinge finden, die man nicht gesucht hat, aber auf Aspekte stoßen, die man unbedingt braucht.
SF: Es kommt also auch drauf an, wann man guckt. KR: Absolut.
SF: Weil sich die Quellenlage verändert. Also das, was die Geschichte uns erzählt und zur Verfügung stellt, an Material, ändert sich. Hat selber einen Verlauf. Das wäre ja an der Stelle sozusagen nachvollziehbar. Okay, erzähl mal, wie es dann weiter ging. Jetzt hast du Anschluss, jetzt hast du auf einmal Anschlusspunkte, jetzt kannst du Wege verfolgen, das hast du getan. Triffst auf neue, letztlich auch Menschen sogar und kannst Fragen an die stellen über das Foto hinaus. Das Foto hat dir lange keine Antwort gegeben. Wie ging es dann weiter?
KR: Genau, also die Schwiegertochter von Else Goldschmidt hat eben verschiedene Personen, das ist ihr auch ein ganz wichtiges Anliegen, in diesem Ahnenforschungsportal verzeichnet. Es geht immer auch darum, einerseits zu zeigen, wo kommen wir her und andererseits auch den Nachfahren, den eigenen Kindern und Kindeskindern wieder aufzuzeigen, das war mal deine Familie oder so sah sie aus. Also das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Und Susan Hirsch, also die Schwiegertochter, ist eben auch eine sehr offene Frau, die da ein großes Interesse hat und mir auch gleich geantwortet hat, was wunderbar ist. Und dann kam es dazu, dass ich eben auch Materialien, Fotografien, Schriftstücke, Ausweise und solche Dinge bekommen habe. Und damit natürlich die Suchbegriffe nicht mehr so eingeschränkt waren. Also, es war klar, Else Goldschmidt war in dem Unternehmen ihres Vaters tätig, Julius Goldschmidt, und dadurch gibt es zum Beispiel den Fund der Handelsregister, die noch existiert.
SF: Jetzt wo du nachschauen musst, ja, und dann tritt das los, oder? Also plötzlich sprudeln die Quellen. War das so ein Erlebnis?
KR: Ja, sie sprudelten dann nicht gleich zu viel. Man muss ja dann erstmal zwischen den Objekten, die da sind, auch Stränge ziehen. Also, was sehe ich auf dem Bild, wo ich eigentlich keine wirkliche Geschichte habe? Also es gibt Tagebuchaufzeichnungen von Else Goldschmidt. Da war sie eine junge Frau, fünfzehn bis achtzehn, neunzehn Jahre.
SF: Wo sind die? Wo findest du Tagebucheinträge? KR: Die hat die Familie.
SF: Okay.
KR: Die Familie hat noch das Tagebuch. Hat mir das eben gescannt und wir bewegen uns gerade auch in einem Zeitraum von Corona, also von verschiedenen Lockdowns und Archive waren nicht mehr zugänglich. Also das kam alles noch in diesem ganzen Rechercheprozess auch dazu. Oder auch Reisen, die wir machen wollten, nach Jerusalem oder nach Johannesburg, waren nicht möglich. Also, um die Nachfahren direkt kennenzulernen.
SF: Reise nach Jerusalem, sehr schön. So und jetzt, du hast jetzt schon ein paar Mal gesagt, da kommen wir später dazu. Jetzt ist der Moment. [Beide lachen] Wie hast du das Buch jetzt angelegt? Dann hast du gesagt: Ja gut, und jetzt habe ich lauter Informationen und so. Dass da ein Buch daraus werden soll. Wann wusstest du das? Schon beim ersten Foto oder wann kann das?
KR: Also, dass ich was darüber schreiben werde, das war klar. Das war eigentlich vom ersten Moment an klar.
SF: Wusstest nicht, ob ein Aufsatz oder was?
KR: Nein, es war auch gleich klar, ein Buch. Es sollte ein Buch werden und es sollte auch ein Buch werden, das wirklich jegliche Gestaltungsfreiheiten erhält, also wo ich nicht durch irgendetwas eingeschränkt werde. Und da kam es auch dazu. Wir kommen dann gleich noch zum Schreiben, vielleicht zur Gestaltung, erstmal.
SF: Hast du gleich an die Gestaltung gedacht? KR: Ja.
SF: Ausgezeichnet. Gut, dann erzähl von der Gestaltung.
KR: Also, dass sich die Gestaltung im letzten Jahr dann formte, bevor wir das veröffentlichen konnten. Das ist auch natürlich ein wichtiger Prozess. Aber bestimmte Elemente waren ganz wichtig, auch für das Schreiben dann mitzudenken.
SF: Ja? Welche? Das ist sehr interessant.
KR: Einerseits ist die Vorgeschichte sehr interessant ist. All das, was wir in den letzten 25 Minuten so im Schnelldurchlauf erzählt haben, fand ich war, wenn ich es irgendwem erzählte, auch immer sehr spannend. Es gab viele Rückfragen. Es wird selten darüber gesprochen und geschrieben, wie man tatsächlich arbeitet. Es gibt eine Vorgeschichte und es gibt natürlich auch die zwölf Episoden über Else Goldschmidts Leben. Also das sind wirklich Essays geworden, die auch immer mit einem Objekt verbunden sind. Ein Bild, eine Fotografie oder ein Auszug aus der Zeitung oder wie auch immer, bildet die Grundlage dessen, was dann folgt, als Geschichte. Das Buch ist noch durchdrungen von Einhundert- Worte-Texten von Studierenden. Das war nämlich diese Fügung, mit dem Lucia Verlag auch zusammenarbeiten zu können.
SF: Das hast du schon, bevor du geschrieben hast, mit denen gesprochen. Und das wolltest du, das wusstest du auf jeden Fall. Lucia Verlag, da soll Else ihr Buch kriegen. Also ich darf es jetzt mal so ausdrücken.
KR: Genau, also wirklich ein Verlag, wo jegliche Gestaltungsmöglichkeiten sind.
SF: Verstehe, ja. Und der Lucia Verlag - das wissen ja nicht alle, die zuhören. Ganz kurz. Willst du ihn charakterisieren, was er für dich da ist? Weil das wäre, glaube ich, an der Stelle entscheidend.
KR: Sehr gerne. Lucia Verlag ist eine studentische Initiative der Bauhaus-Universität und ich schaue jetzt gerade in die Augen von Agnes Müller, die da momentan sehr aktiv mit anderen
KR: Studierenden auch den Stand hier betreut. Und Der Lucia Verlag ist wie gesagt eine Initiative, ein Ehrenamt. Und das ist wunderbar, welche Publikationen da auch in den letzten zwei Jahren erschienen sind. Das basiert immer darauf, dass Studierende der Bauhaus- Universität sich damit auch zeigen können, auch veröffentlichen können. Wir sind ins Gespräch gekommen und die Prämisse ist natürlich gewesen auch, Studierende in dieses Buch zu involvieren. Und das war genau dieser Punkt, den ich wollte oder brauchte, damit es eben nicht eine erneut erzählte Geschichte einer Jüdin in der Emigration ist, sondern ich wollte diesen zweiten Bestandteil gerne haben, das ins Hier und Heute zu holen.
KR: Also, jede Episode ist nicht nur chronologisch eingeordnet, wir starten bei 1907, aber es ist immer auch noch flankiert mit einem Begriff, zum Beispiel „Heimat“ oder
KR: „Staatsbürgerschaft“. „Menschenrechte“, „Immigration“, „Emanzipation“. Und Studierende, die wir angesprochen haben, also es gab ein Open Call auch dazu, bzw. wir wussten, wer auch wirklich aktiv gerne schreibt, hatten hier die Möglichkeit, einen Einhundert-Worte-Text dazu zu formulieren. Ich habe auch in Vorbereitung auf das heutige Gespräch nochmals überlegt. Es war mir wirklich auch wichtig, da keinerlei Kontrolle oder Zensur auszuüben oder zu bewirken. Sondern der Text, der von den Studierenden und jungen Wissenschaftlerinnen kommt, ist so, wie er ist. Und er überführt genau diese Geschichte auch, mit den Fragen, die wir heute gerade an Demokratieverständnis haben, in eine wirklich hochaktuelle Situation.
SF: Das ist ganz wunderbar, was du hier beschreibst. Weil der Lucia Verlag ist ja auch hier auf der Buchmesse bei unserem Stand der Bauhaus-Universität vertreten. Er ist sozusagen so ein bisschen der einladende Teil. Hier in diesen Regalen stehen die Bücher des Lucia Verlags. Da ist ein großer Tisch, da kann man sich erstmal mehr oder weniger unverbindlich ran wagen und dann kann man sich so hier reinbasteln und dann sich quasi mit den Formen
„Neuen Lesens - Neuen Schreibens“ in Hinsicht auf die Neuen Technologien in Verbindung setzen. Aber was du schreibst, war auch der Grund, warum ich letztlich – ich bin ja verantwortlich mehr oder weniger für die Zusammenstellung hier dieser Position – warum ich gesagt habe, den Lucia Verlag will ich dabeihaben. Weil und so hätte ich es gar nicht – so schön hätte ich es gar nicht beschreiben können. Es ist nämlich dann die Herausforderung beim Lucia Verlag ein Buch zu platzieren: Man muss es anders denken, man muss es irgendwie eben – es ist ein Buch aus Papier, es wird geschrieben, es wird gedruckt, da können wir nachher gleich nochmal drüber sprechen. Aber du denkst, wenn man beim Lucia Verlag oder mit dem Lucia Verlag zusammenarbeiten will, dann muss man das Buch gleich anders denken, als dass man sagt: Ich schreibe einen Text und der kriegt dann nachher Buchform. Man denkt gleich das Buch mit. Und das ist eigentlich eine Art und Weise, die letztlich dem Lehren und Lernen, wie wir an der Bauhaus Universität in vielen, quer durch alle Fakultäten arbeiten, eben sehr gemäß ist. Wir denken den Gegenstand, das Medium, das Konkrete. Also ein Kilo, du hast jedes Jahr 100gr geschrieben, das ist ganz interessant. Also die Angabe in Gewichtsmaßen, wie viel schreibst du im Jahr? Ich schreibe 100gr im
Jahr. Das ist aber gemäß. Das ist irgendwie bauhausgemäß, weil man das materiell ausdrückt. Und deswegen der Lucia Verlag. So, nun hast du diese – ja genau, du hast es ja auch schon ein paar aufgenommen – diese zwölf Stationen und so werden Kapitel draus und dann nimmt man die Studierenden mit rein, was wunderbar ist, weil dadurch muss man sein Buch auch verorten, nämlich letztlich an der Bauhaus-Universität. Ich schreibe ein Buch an der Bauhaus-Universität und das muss dann sich irgendwie verzahnen. Das ist wunderbar, also wie das dann alles aufgeht und wirklich einen eigenen Diskurs schon allein vom Gegenstand her bekommt. Und jetzt entscheidest du: „Und jetzt schreibe ich.“ Wir wollen jetzt, ich würde jetzt wirklich gerne über den Schreibprozess sprechen, weil über den Schreibprozess und über das Schreiben meiner Erfahrung nach, in allen Gesprächen existieren sehr viele Mythen. Existieren sehr viele Vorstellungen, wie das so geht. Und die meisten haben damit zu tun, dass Leute denken: Ich kann es nicht, wie machen die anderen das? Die setzen es hin und schreiben einfach. So ist es ja nicht. Oder vielleicht ist es bei dir so. Dann würde ich auch das gern erfahren. Wie war es denn, wie ist es denn, dein Schreiberlebnis?
KR: Die Reaktion auf das Buch war u.a. auch von drei Personen, die sagten: „So was schreibe ich jetzt auch mal!“ [Lacht] Die das als sehr leicht empfunden haben, sich damit auseinanderzusetzen. Fand ich auch eine spannende Reaktion. Das Schreiben passiert für mich eben wirklich auch im erstmal Akten studieren, lesen, auch fotografieren. Wie gesagt, ich war dann in der Corona-Phase auch. Und vieles war nicht dieses: in Ruhe hat man so zehn Akten pro Tag und dann vertieft man sich herein. Nein, es war nicht klar, ob morgen das Archiv noch geöffnet ist. Also, es war ein ziemlich wildes Abfotografieren, u.a. und man hat die Daten dann auch erst im Nachgang vielleicht sortiert. Und aus diesen Extrakten, die ich da herausgezogen hab, in Kombination mit den Fotografien, habe ich eben z.B. die Fotografien auch extrem vergrößert, um Details herauszufinden. Also es ist einerseits ein deskriptives Beschreiben von Szenen, das ist natürlich auch ein fiktionales Schreiben von Aspekten, wo ich sage: Könnte so so gewesen sein? Ja, also auch biografisches Schreiben, was ja auch häufig dann vielleicht ein bisschen in der Kritik steht, kann man Personen überhaupt etwas andichten, usw.
SF: Hast du sowas gemacht?
KR: Ich habe dialogisch geschrieben. Das heißt natürlich auch Fantasie. Wie kann die Situation gewesen sein? Zum Beispiel mit dem Foto, was Rudolf Dührkoop, einer der bekanntesten, berühmtesten Fotografen um 1900, 1910 in Hamburg erst und dann in Berlin, also auch sehr prämiert. Wie ist diese Situation des Fotografierens abgelaufen?
SF: Die hast du mehr oder weniger imaginiert, aber auch immer im Abgleich mit dem Foto. Also nichts, was du erzählt hättest, also da flog dann ein Vogel durchs Bild oder was – sowas hast du nicht mitreingelesen, sondern vom Foto her eine Szene gebaut eigentlich.
KR: Jede Episode ist letztlich anders geschrieben. Ich habe versucht, verschiedene Formen des Schreibens auch zu finden, dem einzelnen Foto oder der Situation, oder wenn wir jetzt
KR: z.B. das Thema Immigration nehmen, auch zu entsprechen, zu können. Da ist natürlich auf der einen Seite auch wissenschaftlicher Diskurs eingeflossen, warum ist etwas so passiert, Welche Grundlagen gibt es da auch in der Theorie, usw.? Aber es sollte auch immer sehr leichtfüßig sein.
SF: Ja. Was ist für dich leichtfüßig?
KR: Dass es sich sehr entspannt liest. Dass es sich entspannt liest, dass es sich einfach leicht liest, dass es auch einen Sog vielleicht bewirkt. Und dass bestimmte Szenen, die mir vorher gar nicht so auf dem Schirm vielleicht waren, einzelne Szenen in einer Episode, auch durch z.B. Lektorat oder auch durch Übersetzungen nochmal verdeutlicht worden sind. Also
KR: „hier ein bisschen weniger, da ein bisschen mehr.“ Ja, also solche Konstellationen.
SF: Das wollte ich gerade fragen: Wie findet man raus, ob es sich leicht liest? Man lässt es lesen, man gibt es anderen und holt sich Feedback und lässt es quasi durch den Lektüreprozess wieder zu sich zurücklaufen und geht dann mit dem Feedback um. Da hattest du mehrere solche Schleifen wahrscheinlich.
KR: Ja, und für das Schreiben brauchte ich ja letztlich auch, weil ich mittlerweile verschiedene Förderanträge auch innerhalb der Universität und außerhalb gestellt hatte, verschiedene Vereinbarungen mit dem Verlag, mit der Gestalterin oder dem Übersetzer hatte, war es auch von vornherein eine sehr formale Vorgabe, wie viele Zeichen ich pro Episode überhaupt nehmen darf.
SF: Du hast mit der Gestalterin schon vorher gesprochen. KR: Ja, also…
SF: Ja, erzähl mal von diesem Gespräch mit der Gestalterin.
KR: Also Ricarda Löser ist die Buchgestalterin und wir haben mehrere Buchprojekte mittlerweile auch zusammen in Angriff nehmen können. Also das erste war das Bachsteinbuch. Das ist auch das Prinzip wie hier auch diese Ausstellungssituation. Man blättert sich in ein Thema hinein. Also auch Lucia nutzt das. Wir blättern uns hier rein. Auch Bachstein war eben an der Stelle ein Kinoenthusiast, dessen Nachlass wir bekommen haben, da blättert man sich herein. Und auch bei Else’s Story haben wir diesen Moment wieder genommen, wir blättern uns in diese Geschichte von mehreren Brüchen usw. hinein. Also ausgehend von den Akten, die ich eingesehen habe, von den Konstellationen, wo ich gearbeitet habe, Arbeitsplätze, Arbeitsräume, Schreibräume.
SF: Ja, ja. Und dann sagt die Gestalterin: Das interessiert mich. Aber sie fragt ja gar nicht thematisch nach, sondern?
KR: Ja, aber wir sind so ziemlich auch auf einer Ebene, was solche Konstellationen wie: Welchen Anspruch verfolgen wir damit? Ich kann vielleicht auch zur Gestaltung gleich mal einiges sagen, weil Ricarda Löser heute nicht da ist [lacht]. Wir haben das Buch, das Cover zeichnet sich dadurch aus, dass das etwas unscharfe Foto von Else Goldschmidt abgebildet ist. Vergrößert. Und man kann z.B., weil es jetzt auch ein Archivobjekt ist, nicht einfach Archivobjekte auf Cover bringen. Also, bei sowas muss man immer Nutzungsrechte einfordern, beantragen. Dieses Bild hat Ricarda so gesetzt, dass es den Text umklammert. Das ist ja eine Fortführung des Bildes, auch wenn man es jetzt mal aufschlägt, so ein bisschen. Das Bild läuft ja hier weiter, darum herum. Es umklammert den Text. Und Ricarda sagt auch immer, das war eine gute Fügung, dass so leicht, ihr Blick so leicht nach oben geht. Also das Bild ist unscharf, weil es von einem Original abfotografiert ist und sie selber praktisch die Laufrichtung oder die Titelei sieht. Sie sieht letztlich ihre eigene Geschichte.
KR: Die Farbigkeit ist jetzt nicht so ein –
SF: Sie guckt so leicht von hinten auf, das möglicherweise vor ihr oder auf dem Glas oder so sich befindet. Eine Räumlichkeit. Ja, ja, ja, ja.
KR: Ja, ja. Genau. Und auch der Titel Else’s Story ist eben, damit die Nachfahren oder überhaupt das Buch zweisprachig erscheinen konnte. Also, dass man einen Titel hat mit zwei Untertiteln und das setzt sich dann auch fort. Also, wenn wir auf die Rückseite zur Farbigkeit, das ist vielleicht ganz interessant, sehen, dann sehen wir u.a. den Stempel. Die Farbigkeit kommt von der Matrize der Aktenstempel. Man sieht das in allen Akten, die auch abgebildet sind. Das war eben diese Maßgabe.
SF: Wie nennt sich die Farbe? KR: Lila [lacht].
SF: Lila.
KR: Stempelfarbe. Einfach Stempelfarbe.
SF: Ich würde auch sagen, in so einem violett lila. Ich bin gar nicht so firm, wie man den Farbton tatsächlich nennt. Ah ja, aber das stimmt. Man sieht genau hier, Copyright by Landesbildstelle, das ist diese Farbigkeit, die daraus leitet, daraus kommt diese Farbigkeit. Daraus kommt die Farbe. Nicht 20er Jahre oder so, sowas hatte ich vermutet. Blue Velvet oder weiß ich nicht so was. Aber nee, es ist – ja, verstehe.
KR: Es leitet sich davon ab, dass es eben wirklich ein Großteil der Geschichte dadurch überhaupt rekonstruiert werden konnte, zur Spur aufgenommen werden konnte, weil Akten da sind. Weil Konstellationen damit auch erklärt werden können. Und dann haben wir ja dieses Reinblättern in verschiedene Dokumente, wo man hier z.B. auch sieht. Das ist die Zulassung, also die Zulassungsprotokollierungen. Man sieht wie stark abgerissen auch die Dokumente teilweise sind und es ist ein Glück, dass es noch nicht abgerissen ist. Es hätte sein können, einer, zack, es nicht mehr zu sehen usw. Man blättert sich also durch Bilderstrecken. Es ist auch mit diesem lila Archivton kombiniert. Und dann haben wir die Konstellation, dass eben der Text, ja Deutsch und Englisch vorhanden ist. Aber das Englische z.B. immer kürzer ist als das Deutsche. Und mit so einer Dissonanz muss man ja letztlich auch umgehen. Und Ricarda hat das fantastisch gelöst, dass der Text immer weiterläuft. Also, dass er auch nicht immer oben neues Kapitel, Episode, starten wieder beide neu, sondern es ist ein ständiges Verschieben auch von deutscher und englischer Sprache. Und es ist wirklich genial gelöst. Ich sage das so, weil das echt richtig gut geworden ist, sind die – das Integrieren der Einhundert-Worte-Texte, die eben nicht ganz am Anfang eines Kapitels stehen. Wo man sagt: „Ach, so ist es jetzt gemeint, toll.“ Nein, sie fliegen in den Text. Es sind Bubble, die wirklich Blasen.
SF: Es sind Blasen.
KR: Jeder der Studierenden, der Person, die die einhundert Worte Texte geschrieben haben, hat letztlich auch eine eigene Schrifttype bekommen. Und es ist auch so, dass der fließende Text, der einzelnen Episode, ja hin und wieder auch mal mit Fußnoten gekennzeichnet ist, um einfach auch zu signalisieren: Das ist z.B. jetzt aus dem Tagebuch von Else Goldschmidt selber. Diese Passage, die habe ich mir nicht ausgedacht, sondern die ist so. Und Ricarda teilweise auch die Bubble unter die Fußnote setzt. Also dieser Gedanke - es gibt immer auch noch einen Text unter der Fußnote, finde ich z.B. sehr, sehr beeindruckend. Und auch der Abspann, das ist wie so ein Filmabspann eigentlich. Der Text fließt eigentlich fast wie so ein Film durch das Buch und so kleine Teile, wie Lesebändchen auch in so einem Fliederton oder den Einband usw. zu gestalten. Das ist wirklich ihr Vermögen auch, ihre tolle Kompetenz.
SF: Das heißt, der Schreibprozess war gleichzeitig auch schon verbunden mit dem, das hört man ja ganz deutlich und man sieht das dem Buch dann letztlich auch an, mit dem Gestaltungsprozess des Buches. Aber ich will das noch mal sichern: Du hast es ja auch schon mehrfach angedeutet und aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. Ihr habt von Anfang an entschieden, das Buch in seiner Gestaltung und nicht nur der erzählende Text.
SF: Also, da wird nicht nur ein erzählender Text in Buchform gebracht, sondern der erzählende Text verhält sich direkt zu der Dramaturgie des Buches, zum Aufbau des Buches, zu den ganzen Gestaltungen, welche Farben sich da ergeben, wie die Setzung ist usw. Daraus ergeben sich dann Text, Gattungen aus den Bildern. Ergeben sich Kapitel und
Kapitelanordnungen. Es ist ja wirklich auffällig. Ich sage es auch nochmal: Jetzt kann man es aber auch noch mal besser nachvollziehen, dass wirklich dieses Buch nicht damit beginnt, Else vorzustellen, sondern die Arbeit - wie soll ich sagen - die Arbeit am Buch eigentlich - viel besser ist es eigentlich beschrieben mit: Die Arbeit des Buches. Also, man schaut dem Buch bei einer Arbeit zu, während man es durchblättert. Also es ist tatsächlich ein interaktives Objekt geworden in gewisser Hinsicht. Diese Blasen, von denen du sprichst, die mag ich auch wirklich ganz besonders. Die halten sich auch gar nicht mehr an die Seitenränder unbedingt usw. Das hast du ja auch schon beschrieben. Die wabern noch unter die Fußnoten oder gehen oben am Rand noch mal raus usw. Wie ging die Kommunikation mit den Studierenden, also der Call oder dann das Gespräch mit den Studierenden? Was hast du da mit denen gemacht? Das ist ja nochmal ein eigener Text, den du aber organisierst und kuratierst.
KR: Also da gab es letztlich die Anfrage an die Studierenden mit eben diesen zwölf Begriffen und man konnte sich einen aussuchen.
SF: Und dann war der weg
KR: Und dann war der weg und dann gab es den nicht mehr. SF: Dazu mache ich hundert Wörter.
KR: Dazu mache ich hundert Wörter. Und das war dann auch die Herausforderung für die Übersetzung nochmal zu sagen, auch da sollen es genau nicht neunundneunzig oder einhunderteins Wörter werden, sondern genau hundert.
SF: Im Englischen sind es auch einfach hundert. Weil sie heißen ja auch auf Englisch A Hundred Words.
KR: Genau.
SF: Der Schreibprozess - das fand ich auch interessant, das will ich auch nochmal betonen: Die Feedbackschleifen heißt ja: Schreiben ist gar nicht ein monografischer Prozess, wo du da alleine sitzt, diesen Text schreibst, dir das überlegst, ob er so passt und dann rausgibst in den Druck. Sondern es gibt viele Dialogsituationen. Mehrere Leute arbeiten mit an der Entstehung dieses Textes.
KR: Ja, also u.a., um jetzt ein Beispiel für die Übersetzungen zu bringen: Als Elses Eltern geheiratet haben, da gibt es in dieser Handelsregisterakte auch verschiedene Dokumente, die das noch beschreiben, bezeugen. Eine Situation. Was gab es z.B. bei dem Hochzeitsfest zu essen, und das war: Kalbsrücken à la Princess. Wie übersetzt Michael Thomas Taylor Kalbsrücken à la Princess? Also das waren dann so Gespräche: Was ist das eigentlich
KR: gewesen? Und das ist nicht etwas à la Princess könnte man jetzt schnell vermuten, Prinzessbohnen. Das war so mein erster Gedanke, war aber völlig falsch. Sondern es ist mehrfach mit verschiedenen Saucen gekochtes und in Blätterteig usw. gerührtes Fleischgericht.
SF: Wie hast du das gefunden, wie hast du herausgefunden, was es ist?
KR: Durch alte Kochbücher, dass man da nochmal schaut usw. Und das sind natürlich dann auch immer Dinge für die Übersetzung oder wo vielleicht Passagen, auch gerade als sie in Südafrika dann verheiratet war, Staatsbürgerschaft angenommen oder bekommen hat. Sie war nicht mehr vogelfrei als Immigrantin, um diese Geschichte kurz mal aufzunehmen. Wie beschreibt man diese Situation und durch dieses Einfühlen. Also ich habe ja dann letztlich im Sommer 2022 angefangen, die einzelnen Geschichten auch zu schreiben und die mussten halt bis November auch letztlich fertig sein, mehr oder weniger.
SF: Wie verstehe ich das, „die einzelnen Geschichten zu schreiben“? Also eine nach der anderen?
KR: Ja, die Episoden, wirklich abzuarbeiten.
SF: Also eine nach der anderen geschrieben oder hast du, wie Gustave Eiffel von verschiedenen Seiten, also verschiedene Episoden auf das Buch zu gearbeitet?
KR: Das eine oder andere hat sich schon dann auch noch mal ergeben, aber eigentlich eine nach der anderen.
SF: Eine nach der anderen?
KR: Eine nach der anderen, weil dieses Kontextmaterial, also zur Börse, zur Wirtschaftsgeschichte, zu Dingen von Immigration, NS-Regime usw. Das muss man ja auch erstmal alles letztlich irgendwie sich erarbeiten.
SF: Ziehst du für eine Episode zusammen, dann schreibst du sie und es geht ja wieder verloren. Es fällt ja wieder auseinander, verstehe ich das richtig? Hast du sie in der Reihenfolge? Also hast du mit Heimat jetzt angefangen oder hast du mit einer Fotografie angefangen?
KR: Mit Heimat.
SF: Du hast mit Heimat angefangen? Hast du dann nach „Aufbruch“ geschrieben oder wie ging dann der Prozess?
KR: Ganz verschieden. Wie es mir tatsächlich in den Sinn kam. Ich kann wirklich auch in jeder möglichen Lage schreiben. Oder Geschichten überlegen. Also beim Schwimmen schreibe ich sehr gerne [lacht].
SF: Ja, das ist wirklich toll.
KR: Ich schreibe im Liegen, im Stehen. Also es ist überhaupt kein –
SF: Merkst du dir dann: Ich habe jetzt die Runde 87, schnell raus, Stift, Stift oder wie geht das?
KR: Nein, das sind eher die Szenen, also, dass man Szenen baut.
SF: Und dann schwimmst du in Ruhe weiter und nachher in der Kabine holst du dein Notizbuch raus und weißt es noch? Oder schreibst du es erst zuhause auf? Wie gehen solche…
KR: Ich schreib das zuhause auf.
SF: Du weißt das noch bis zu Hause? KR: Ja, natürlich.
SF: Ah ja, „natürlich“! [lacht].
KR [lacht]: Ja, bestimmte Begrifflichkeiten oder so was kann man für Wörter noch an konkreteren Beschreibungen finden, das sind so Konstellationen.
SF: Hinsicht auf Schreibprozess. Im Schreibprozess ist man immer am Schreiben, darf ich das mal so ein bisschen auf so einem Bonne mot oder so ein pointiert sowas. Das heißt, auch beim Schwimmen ist man am Schreiben, beim Laufen, am Frühstückstisch usw. Was sagt die Familie, wenn du dauernd am Schreiben bist?
KR: Ja, sie spricht mit. Also, mein Mann, wir reden ja dann auch über verschiedene Texte oder mein Sohn, der ja auch mit zwei Texte beigesteuert hat. Wir sind da dann auch im Diskurs und das ist ja auch einfach wichtig. Also wie kann das gewesen sein usw., dass man sich da auch Konstellationen überlegt und den Text ineinander verwebt.
SF: Ja, ja. Wie lange hast du denn jetzt an dem Buch geschrieben? KR: Naja, alles in allem sechs Monate.
SF: Alles. Was ist da alles drin in diesen sechs Monaten?
KR: Alles außer Rechercheprozess. Es ist ja dann auch immer noch mal wichtig, bestimmte Sachen noch mal nach zu und so weiter, aber die reine Schreibphase waren sechs Monate.
SF: Das finde ich sehr interessant. Also, der Rechercheprozess ist abgeschlossen und dann schreibst du?
KR: Ja, aber ich recherchiere immer neben dem Schreiben wieder neu. Also zum Beispiel die Beschreibung des ersten Fotos von 1907, also die Familie sitzt beim Fotografen – was haben die einzelnen Personen an? Diese exakte Beschreibung, wie heißt eigentlich die Frisur, die die Mutter trug. Also, das in große Puffen frisierte Haar. Also „Puffe“ war mir nicht bekannt, aber das passiert dann natürlich erst, wenn ich sage, okay, ich beschreibe das genauso und an der Stelle brauche ich auch die Fachbegriffe oder die damals geltenden Begrifflichkeiten.
SF: Um Gottes Willen, stelle ich mir alles sehr, sehr schwierig vor, weil du da unheimlich viel handwerkliche Detailkenntnis usw. machst. Hast du da Wörterbücher oder wie kommst du in die Sprache von damals rein? Was sind deine Hilfsmittel, also welche Zeugen sprechen da zu dir und helfen dir?
KR: Also sehr viel auch historische Zeitschriften. Also ich lese extrem viel, also jetzt für dieses Buch Modezeitschriften z.B., da gibt es auch wirklich wunderbare digitalisierte Plattformen mittlerweile, wo man das gut recherchieren kann. Aber es ist aber immer auch eine Fleißarbeit. Die ganze Archivarbeit ist auch sämtliche Rechercheprozesse, um es dann auch gut aufzustellen, ist einfach auch eine sehr starke Fleißarbeit.
SF: Ist es – Hast du dich manchmal auch so ein bisschen gefühlt, oder könnte man sagen – es erinnert ein bisschen, was ich so von Gesprächen gehört habe, wenn Leute historische Romane schreiben. Wäre das eine Assoziation, wo du sagst, es könnte sein, ja so ein bisschen, oder ist es nicht so?
KR: Also für mich ist wichtig, dass es wirklich kurze Episoden sind, dass sie nicht so ausufernd sind, sondern es ist kurz beschrieben. Das Leben ist jetzt erstmal auch in diesem Buch veröffentlicht. Es ist zugänglich, das ist für mich immer ein wichtiger Punkt, dass es möglichst in vielen Bibliotheken ist, dass der Zugang zu dieser Geschichte möglich ist, weil gerade diese Erlebnisse, die sie dann letztlich ja auch hatte, 1933, wo ihre Karriere aufgrund der Übernahme der nationalsozialistischen Machthaber in dem Sinne, sich für sie alles änderte. Ihre ganze Reputation war von einem auf den anderen Tag weg. Es gibt auch ganz viele Irritationen. Teilweise durften jüdische Makler noch weiterarbeiten. Aber es gab keine Begründung warum der, warum die usw. Und dann versucht sie auch sehr mutig zu agieren,
KR: z.B. gegenüber Regierungsstellen. Unter anderem hat Rudolf Hess, also der Stellvertreter Hitlers, dann auch verfügt, dass erwerbstätige Frauen, sofern sie die Familie allein ernähren, nicht abgebaut werden dürfen. Aber wie es so geht, galt das für sie nicht. Und sie musste eben aufkommen, auch für ihre Mutter und für ihre Schwester.
SF: Ich gehe so ein bisschen absichtlich nicht auf die Erzählung von dem Buch ein, weil es mir ja um den Schreibprozess geht und ich, wenn wir damit angefangen hätten, fürchte ich ein bisschen, hätten wir die ganze spannende Geschichte erzählt. Und außerdem – die Leute sollen das Buch ja noch lesen. Aber ganz abgesehen davon: Es geht ja hier Lesen und Schreiben. Darum will ich jetzt wirklich nochmal zurückbiegen. Entschuldigung, wobei ich da sehr gerne nachfragen würde, aber ich bremse mich selbst. Du arbeitest bei diesen ganzen Recherchen, Modezeitschriften usw., das erinnert mich an Arbeit von Ausstatterinnen und Ausstattern im Film. Das ist ja wirklich interessant. Diese Szenen, die du baust, stattest du aus. Und sie müssen ein Bild der Zeit wiedergeben, dass man sagt: Ja, jetzt kann ich mich einfühlen. Und da habe ich kurz nochmal denken müssen an diesen Film, wo diese – ja letztlich war sie eher eine Hobby Historikerin – zunächst mal auf der Suche nach Richard III. Ist – hast du manchmal mit Else gesprochen? Weißt du, hast du von ihr geträumt? Diese Einfühlungsprozesse. Manchmal kommt man ja diesen – lebtest du phasenweise in dieser Welt. Wie beschreibt sich das? Sechs Monate? Na gut, aber es waren – du warst ja nicht nur sechs Monate mit dem Thema befasst. Man lebt doch ein bisschen, dann da drin. So stelle ich es mir zumindest vor. Wie war das bei dir?
KR: Also nein, drin gelebt habe ich nicht, also in der Welt. Aber natürlich habe ich sie mir schon imaginiert, vorgestellt, aber nicht jetzt so, dass ich das nicht mehr unterscheiden kann, keine Distanz mehr habe und sage –
SF: So weit wollte ich – so war die Frage nicht gemeint.
KR: Nein. Aber natürlich musste ich mir vorstellen, wie jetzt das Kapitel 1933, zum Beispiel Immigration oder die Krise vielmehr. Wie hat sie das erlebt? Wo ist da der Aufschlag? Wie kann ich diese Geschichte beginnen? Durch welche Situation kann ich das beginnen? Wie hat sie vielleicht darüber nachgedacht, wie lag sie in ihrem Bett, keine Ahnung. Was war nicht mehr möglich für sie? Also diese Kenntnisse, das Material, was mir die Bilder auch praktisch mitgegeben haben, dann in eine erzählte Geschichte zu bringen. Darum geht das.
SF: Und jetzt hast du aber einen Kniff, von dem hast du aber noch gar nicht gesprochen, – nämlich: Das unterscheidet das Buch auch von letztlich dem historischen Roman, dass du oft kenntlich machst, ob du es dir gerade ausdenkst oder nicht, indem du immer wieder schreibst: Vielleicht war es so, vielleicht war es so. Also du hast so – du stellst sozusagen offene Überlegungen ab, du durchbrichst die vierte Wand und schreibst eben kein Roman, sondern nimmst uns jetzt mit in deine – und da passt es wieder zu den Akten – nimmst uns
SF: jetzt mit in deine Überlegungen, in deine Recherche, in dein Nachdenken über diese Person, ausgehend von dem Material und wie du dann selber Fäden knüpfst – daran lässt uns teilhaben.
KR: Ja, weil also der Zufall und diese ersten Spuren, die ich gefunden habe, heißen auch, dass es natürlich vielleicht weitere Fragmente gibt. Also, dieses ganze Konvolut, wo dieses Ausgangsfoto auch enthalten ist, ist eben nur teilweise erschlossen. Es kann sein, dass es original existiert, es kann sein, dass es weitere Fotografien dazu gibt, es ist möglich, dass andere Börsenmakler*innen da noch abgebildet sind und verfügbar sind. Also das werden erst die nächsten Generationen herausfinden, sofern sie über diese Geschichte stolpern in gewisser Weise. Und das war mir eben letztlich auch sehr wichtig, das relativ schnell dann auch zu veröffentlichen, auch einen Anstoß zu setzen und damit auch weiter zu recherchieren, weiter zu forschen. Die Berliner Börse mit verschiedenen Personen – und Else Goldschmidt ist eine von über sechstausend, zehntausend, wie auch immer, Personen, die da auch gewirkt haben. Das ist eben ein wirklich tolles Thema für künftige Forscher*innengenerationen.
SF: In der Tat. Also ist es wirklich ganz interessant. Vorhin hast du auch was gesagt: Der erste Mensch. -Ist das Buch der erste Mensch, der dir in deiner Arbeit mit der Börse begegnet ist? Also, ich dachte mir so: Da war die Sehnsucht, Die Medien an der Börse heißt dein erstes Buch zur Börse oder deine erste Studie zur Börse, aus der heraus du jetzt einen Menschen an der Börse suchst und dann noch die erste Frau an der Börse. Und jetzt wird da eine Situation – es sind da irgendwie Agenten, Agenturen – und dadurch – Agenten und Agenturen, die aber anthropomorph sind oder eben menschliche Figuren. Und dadurch können wir auf einmal Affekte und Emotionen mit – also das sind eigentlich die Affekte und Emotionen an der Börse, die an einer individuellen oder „Individuen an der Börse“, so könnte das Buch eigentlich auch heißen. Und ich höre so ein bisschen raus: Ich wollte jetzt auch mal jemandem begegnen, der dabei war in diesem ganzen, in diesem Ein-Kilo-Medien an der Börse-Buch. Sodass das so ein bisschen so das zweite Buch ist, wo man jetzt sagen kann, kann man die beide so parallel lesen, im einen und im anderen? Und dann kann man immer sagen: Ah ja, und das waren dann die Handelnden oder nee. Ist ja ein bisschen anders, weil das geht ja bis 33 Jahre und Else’s Story geht ja über 33 hinaus.
KR: Ja, aber das sind praktisch auch drei Themen, die ich mit meiner Dissertation als noch weitere Forschungsvorhaben aufmache. Else’s Story ist praktisch eine Geschichte, es gibt noch weitere, Haus Magazin in der Ausmagazin, in der Nähe von London lagert, was noch zu heben gilt. Es gibt klöbersche Wandgemälde, die ich auch ausfindig machen konnte. Das sind alles so Indizien oder Beweise, Zeugnisse der Börse, die als solche so nicht mehr existieren kann. Weil sie 1944 zerbombt worden ist und dann im Ostteil von Berlin ja lag.
KR: Also direkt neben dem Berliner Dom gelegen, also wirklich sehr, sehr zentral, Und in der DDR hatte die Börse nicht die Relevanz wie in Westdeutschland in der BRD. Deswegen ist
KR: diese Geschichte auch ziemlich zerrüttet oder ziemlich verschüttet vielmehr und taucht jetzt vielleicht so an ein, zwei Stellen wieder auch auf. Also weil es einfach Teil unserer Geschichte ist.
SF: Ja, da würde ich gerne noch eine zweite Stunde haben, eben über die Medien der Börse und die Figuren der Börse mit dir zu sprechen. Aber vielleicht, unsere Zeit geht jetzt auch zu Ende. Vielleicht einfach noch eine Frage. Die erste Frau an der Berliner Börse, wann kam die zweite oder darf ich so fragen?
KR: Kannst du gerne fragen. Also das war einfach durch die Weimarer Republik möglich geworden. Also, dass auch die Gesetzgebung sich änderte, dass es da Personen gab. Es war schon möglich, auch im Zuge des Ersten Weltkrieges gab es ja verschiedene Frauen schon an der Produktenbörse, aber nicht an der Fonds- oder Effektenbörse. Der Handel mit Wertpapieren, das war wirklich völlig ausgeschlossen. Es gab Sonderregelungen in dem einen oder anderen Fall, damit die Familien weiter auch existent sein können. Nachdem Else die Zulassung erhalten hat und da liegt auch schriftliches Material von verschiedenen sehr renommierten Bankiers usw. vor, die ihr sie beglückwünscht haben. Und sie, die erste Frau an der Berliner Börse, wird das Denkmal auch per se sein für Frauen. Und kurz danach gab es natürlich verschiedene Personen, Frauen, die sich da auch angemeldet haben, zugelassen worden sind. Und auch da kann es weitere Geschichten wirklich geben.
SF: Weißt du, warum in Klammern auf dieser Fotografie, wer das geschrieben hat, wie darauf kommt: „Erste Frau an der Berliner Börse.“ Was ist das? Das ist ja eine Notation, die weiß und Aufmerksamkeit machen will, oder aufmerksam machen will auf diesen Umstand. Nicht einfach nur: „Else Goldschmidt, Berliner Börse“. Sondern: „Erste Frau an der Berliner Börse.“
KR: Nein, das lässt sich noch nicht herausfinden. SF: Noch nicht.
KR: Es wird Zeiten geben, dann wird man das wissen. Also, wie gesagt, wenn dieser Bestand erschlossen ist, wenn er verschlagwortet ist, wenn man diese Spuren dann aufnehmen kann, um letztlich wirklich auch die eine oder andere Lücke tatsächlich zu schließen.
SF: Wo das Bild herkommt, weißt du auch nicht? Vielleicht das jetzt so langsam gegen Ende, aber da würde jetzt doch nochmal zurückkommen.
KR: Das ist der Atlantik Pressebilder Dienst. Und dieser Bestand dieser 1919 gegründeten Firma ist eben auch mehrfach an weitere Stellen übergeben worden.
SF: Okay, und das passt natürlich schon dazu, dass sie damals Glückwünsche erhält, dass man damals schon zu ihr sagt, erste Frau usw. Die Story, Else’s Story, ist auch schon damals eine Story als erste Frau, was dann auf der Rückseite des Fotos eingetragen wird, als erste Frau der Berliner Börse. Ist sie damals schon auf dem Foto irgendwie kursiert?
SF: Also von diesem Bilderdienst oder sowas?
KR: Ich habe auch so eine ganz kleine Zeitungsnotiz, wahrscheinlich aus den 60er Jahren. Also das ist wirklich nur so ein ganz kleiner Ausschnitt und drum rum kann man das irgendwie so ein bisschen rekonstruieren. Und da wird Else Goldschmidt, also Hirsch dann schon, in den 60er Jahren gefragt. Da war sie ja dann in Johannesburg, und es hatte eine Frau versucht, zugelassen zu werden. Und die Johannesburger Börse war eben eine sehr männerdominierte Angelegenheit. Und Else Goldschmidt wurde dann befragt und interviewt dazu, wie sie das hält, weil eben die Person letztlich diese Zulassung nicht erhalten hat. Und sie hat dann praktisch auch beschrieben: Wir als Frauen in der Weimarer Republik hatten die Möglichkeit und wir wurden von unseren Männern oder männlichen Kollegen an der Börse auch respektiert. Und das finde ich auch nochmal sehr wichtig. Also, sie war sich sehr wohl dessen bewusst, was sie eigentlich für eine Karriere hatte und die dann eben –
SF: Und auch für eine Gelegenheit. Die Geschichte entwickelt sich nicht immer nur in eine Richtung oder auch nicht überall in dieselbe Richtung usw., sondern es gibt Vorwärts-, Rückwärts-, Seitwärtsbewegungen, Stockungen usw. und lösen sich wieder auf. In sechs Monaten hast du dieses Buch geschrieben. Das Buch ist erhältlich beim Lucia Verlag.
SF: Nachwiegen kann man es dann zu Hause selber und dann ausrechnen, wie viel Gramm pro Monat du geschrieben hast. Ganz herzlichen Dank für das schöne und sehr sehr interessante Gespräch, liebe Kathrin.
KR: Ja, danke auch, Simon.
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